Die Hueterin der Krone
Wut«, knurrte er.
Matilda musterte Waleran de Meulan. Er hatte eine fehlgeschlagene Rebellion zugunsten ihres Vetters William le Clito angezettelt, war die letzten zwei Jahre in der Normandie gefangen gehalten worden und trug jetzt nur deshalb keine Ketten, weil er keine Möglichkeit zur Flucht hatte. Ihr Vater hatte es für unklug gehalten, ihn zurückzulassen, und so würde Waleran seine Gefangenschaft in England in Gewahrsam des Justiziars ihres Vaters, des Bischofs von Salisbury, fortsetzen. Er war der Sohn eines Dieners, zu dem ihr Vater ein sehr enges Vertrauensverhältnis hatte, und sein Zwillingsbruder Robert war an dem Aufstand nicht beteiligt gewesen. Matilda war sich wohl bewusst, dass, wenn man ihr den Weg ebnete, dies auch die Entscheidung umfasste, wie sie mit Männern wie ihm verfahren sollte, einem Sohn aus einer mächtigen Familie, der le Clito als rechtmäßigen Herrscher der Normandie und Englands bevorzugte als jemanden aus der Blutlinie ihres Vaters. Waleran de Meulan mochte ja momentan eine klägliche Figur abgeben, aber er blieb dennoch gefährlich.
Matilda wandte sich von Brian ab und ging zu Adeliza hinüber, die an der Seitenwand des Schiffes saß. Sie hatte sich in warme Pelze gehüllt, und dicke, mit Vlies gefüllte Kissen milderten die Härte der Planken ab. Gegen die kräftigen Farben von Eichhörnchen und Zobel hob sich Adelizas Gesicht als weißes Oval ab, und sie biss sich verzagt auf die Lippe. Matilda fragte sich, ob ihr die Überfahrt zu schaffen machte, aber sie legte diese Reise sicherlich häufiger zurück und hatte kein ängstliches Naturell. Vielleicht litt sie wie Waleran unter dem hohen Wellengang. Auch einige andere Passagiere waren seekrank geworden, obwohl keiner solche Geräusche von sich gab wie der Lord of Meulan. Dann erkannte Matilda, dass ihre Stiefmutter weinte.
»Madam?« Matilda blickte sich um und machte Anstalten, Hilfe herbeizurufen, aber Adeliza packte sie am Arm.
»Es ist nichts«, beteuerte sie.
Matilda setzte sich neben sie und zog ein Stück Pelzdecke über ihren eigenen Umhang.
»Was hast du dann?«
Adeliza schluckte und wischte sich mit ihrem Mantel über die Augen.
»Meine Blutungen haben eingesetzt«, gestand sie mit leiser Stimme. »Ich dachte … ich dachte, diesmal könnte ich das Kind austragen. Meine letzte Blutung lag vierzig Tage zurück … aber nein, ich habe sie bekommen, wie immer.« Sie wiegte sich mit gesenktem Kopf hin und her. »Warum kann ich meine Pflicht nicht erfüllen? Was habe ich getan, dass Gott mich so straft?«
Matilda legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter.
»Es tut mir so leid. Ich hatte während meiner Ehe mit Heinrich mit demselben Kummer zu kämpfen.«
»Ich wäre eine gute Mutter«, flüsterte Matilda. »Das weiß ich genau. Wenn ich nur eine Gelegenheit dazu bekäme. Nur eine. Ist das denn zu viel verlangt?« Sie presste die Lippen zusammen, als William D’Albini zu ihnen herüberkam. Trotz des auffrischenden Windes schwankte er nicht. Er bückte sich und reichte den beiden Frauen eine kleine Flasche.
»Mit Honig und Ingwer gewürzter Wein, Madam«, sagte er zu Adeliza. »Ein gutes Mittel, wenn einem flau im Magen ist. Meine Tante Olivia schwört darauf. Heute haben wir schwere See.«
Matildas Augen verengten sich argwöhnisch, aber er sah sie offen an und schien wirklich zu glauben, Adeliza litte unter dem mal de mer . Kühl dankte sie ihm in Adelizas Namen. Er verstand den Wink, lief rot an, verbeugte sich und ging davon.
Adeliza schniefte. Dann hob sie das Kinn.
»Ich darf mich nicht selbst bemitleiden. Wenn Gott andere Pläne mit mir hat, muss ich seinem Urteil vertrauen. Er wird mich wissen lassen, was er von mir verlangt, wenn es ihm beliebt.« Sie zog den Stopfen aus der Flasche, nippte daran und reichte sie an Matilda weiter.
»So ist es«, stimmte Matilda zu, dachte aber bei sich, dass Gott seinen Willen manchmal auf rätselhafte Weise kundtat, und sie war nicht sicher, ob sie genauso geduldig darauf warten konnte wie Adeliza.
Die Hand des heiligen Jakob, die den Ehrenplatz auf dem Hochaltar der Abtei von Reading einnahm, zeigte wie ein schlanker Turm aus poliertem Gold und kostbaren Steinen gen Himmel. Die Abtei der Jungfrau Maria und Johannes des Täufers war vor sechs Jahren geweiht worden und befand sich noch immer im Bau. Henry beabsichtigte, die prächtigste Kir che des Christentums zu errichten. Sie würde sein Grab beherbergen, wenn seine Zeit kam, und war bereits ein Schrein
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