Die Hueterin der Krone
Gefangennahme führt ihnen vor Augen, wie weit sie meine Gutmütigkeit strapazieren können, ohne die Folgen zu spüren zu bekommen.« Er beugte sich vor und hob eine kräftige, fleischige Hand. »Der Weg, den ich beschreiten will, liegt klar und deutlich vor mir. Hier sitzt meine Tochter, die Witwe eines Kaisers. Sowohl durch ihre Heirat als auch durch ihr Geburtsrecht verfügt sie über ausgezeichnete Beziehungen. Sie ist die Frucht meiner Lenden, und in ihren Adern fließt das Blut des alten englischen Königshauses. Was noch schwerer wiegt – sie ist das Einzige einem Elternpaar geborene Kind, das bei seiner Empfängnis als gekrönte Herrscher auf dem Thron saß. Und als kaiserliche Gemahlin ist sie es gewohnt, Macht auszuüben.«
Matildas Herz zog sich in einer Mischung aus Stolz und bösen Vorahnungen zusammen. Ihre Lippen wurden schmal, als sie sich bemühte, so majestätisch und würdevoll zu wirken, wie er sie beschrieben hatte.
Robert ergriff erneut das Wort.
»Aber wenige Männer werden das Knie vor einer Frau beugen, Sire, auch wenn sie von königlichem Blut und ihrer Aufgabe mehr als gewachsen ist – und ich sage das als Mann, der seiner Schwester mit Freuden die Treue schwören wird.« Er blickte sich um und registrierte das zustimmende Nicken der anderen.
»Und ich sage euch, dass sich alle Männer meiner Entscheidung fügen werden – auf die eine oder andere Weise.« Henry ballte eine Faust. »Ich bin kein Narr, mir ist bewusst, dass das Wort eines Mannes nach seinem Tod nicht länger Gesetz ist. Deswegen muss ich alles regeln, solange ich noch bei guter Gesundheit bin. Wenn meine Königin mir keinen Sohn schenkt, muss ich auf die Enkelsöhne setzen, die meine Tochter gebärt.«
Matilda wich dem harten grauen Blick ihres Vaters nicht aus. »Und welcher Mann soll diese Söhne zeugen, mein Vater? Darüber hast du noch kein Wort verloren.«
»Weil ich erst darüber nachdenken muss. Das Einzige, was zählt, ist, dass dein zukünftiger Mann von guter Abstammung ist und dir Söhne schenkt. Er selbst wird nie König werden, aber zum Ausgleich wird sein Sohn einst auf dem englischen Thron sitzen. Und du, meine Tochter, wirst das Gefäß sein, durch das dieses königliche Kind die Welt betritt. Du wirst die Macht hinter dem Thron darstellen, bis er alt genug ist, um auf dem Thron zu sitzen. Und dabei werden dir deine Familie und meine mir treu ergebenen Vasallen zur Seite stehen. Als Mutter des künftigen Herrschers wirst du über große Autorität verfügen, und alle diese Männer werden dich unterstützen.« Mit einer Geste umfasste er den vom Feuerschein erleuchteten Kreis. Eine fast greifbare Spannung lag in der Luft. »Und wenn Gott mir gnädig ist, schenkt er mir genug Jahre auf dieser Erde, um meinen Enkel zum Mann heranwachsen zu sehen.«
Und um an der Macht festzuhalten, dachte Matilda, die wusste, dass dieser Gedanke auch allen anderen Anwesenden durch den Kopf ging. Wenn ihr Vater so lange leben würde, würden sie sich nie mit der Bedrohung einer Frau auf dem Thron auseinandersetzen müssen. Sie legte eine Hand auf ihre schmale Taille.
»Ich bin bereit, meine Pflicht zu erfüllen, Sire, und freue mich, dass Ihr ein solches Vertrauen in mich setzt, aber was ist, wenn Ihr sterbt, bevor ich schwanger werde? Und was ist, wenn ich unfruchtbar bin?«
Er warf ihr einen so finsteren Blick zu, als unterstelle er ihr, absichtlich die Schwachstellen seines Plans aufzuzeigen. »Darüber können wir später noch sprechen. Im Moment gehe ich davon aus, dass ein direkter Abkömmling meiner Blutlinie den Thron erbt und alle meine Barone dir als meiner Erbin die Treue schwören werden.«
Die darauf folgende lange, angespannte Stille wurde von Brian FitzCount durchbrochen, der sich erhob, um das Feuer herumschritt und vor Matildas Füßen niederkniete.
»Ich schwöre freudigen Herzens«, verkündete er und senkte den Kopf.
Seine Geste rührte Matilda zutiefst, und sie hoffte nur, dass man ihr ihre Verwirrung nicht anmerkte. Sie nahm seine Hände zwischen die ihren, gab ihm den Friedenskuss auf beide Wangen und spürte seine weichen Bartstoppeln unter ihren Lippen. Seine Kleider rochen nach Zedernholz, der Duft verschlug ihr den Atem.
»Eine noble Geste«, bemerkte ihr Vater mit belustigter Nachsicht, als beobachte er die Possen eines übermütigen Kindes. »Aber an der Loyalität der hier Anwesenden hege ich keinen Zweifel. Ich weiß, dass ihr auch vor den Augen der Öffentlichkeit den Treueeid
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