Die Hueterin der Krone
sie fast wie ihr eigenes steinernes Abbild wirkte. Sie richtete einen erschreckend leeren Blick auf ihn.
»Robert ist tot«, sagte sie tonlos. »Wie kann das sein? Warum ist nicht Stephen an seiner Stelle gestorben? Oder ich?«
Brian schluckte, weil erneut Übelkeit in ihm aufstieg. Er wollte sie in die Arme schließen, fürchtete aber, dass sie ihn zurückstoßen würde, wie sie jeden zurückstieß. Und er ver diente es. Ihr Ritter Drogo hatte einmal zu ihm gesagt, unter ihrer harten Schale würden sich Weichheit und Verletzlichkeit verbergen, was aber niemand ahnte, weil sie niemanden nahe genug an sich heranließ. Seine Stimme glich einem heiseren Krächzen. »Es ist Gottes Wille, dass Ihr lebt, Herrin. Ich wäre auch frohen Herzens an seiner statt gegangen.«
»Und warum war es Gottes Wille, dass er stirbt?« Ihr Kinn zitterte. »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er erschöpft, aber trotzdem gesund und kräftig – das dachte ich zumindest. An einem Blutstau zu sterben … ich war überzeugt, dass ich ihn am Geburtstag unseres Bruders und am Todestag unseres Vaters wiedersehe. Er sollte hier sein, um Henry zu helfen, ihn zu lenken und sein Rückhalt zu sein … so wie er der meine war. Jetzt ist er für immer fort. Was soll ich nur tun?«
Brian erschauerte, und plötzlich keimten Schuldgefühle in ihm auf. Was, wenn sie ihn bat, von nun an ihr Rückhalt zu sein? Er benötigte ja selbst welchen.
»Ich habe ihn so weit getrieben, indem ich mich stets auf ihn verlassen habe und er das wusste«, fuhr sie fort. »Ich hätte über den Horizont meiner eigenen Probleme hinausblicken und sehen müssen, wie schlecht es ihm ging, und jetzt ist es zu spät. Jetzt kann ich nichts mehr tun.« Sie schlug eine Hand vor den Mund.
»Nicht«, murmelte Brian. »Es war auch sein Kampf. Solange Stephen auf dem Thron sitzt, hätte er nie aufgegeben.«
»Jetzt muss ich nicht nur mein Leben, sondern auch das von Robert leben – aber wie kann ich das, wo er doch der weit Bessere von uns beiden war? Niemand kann ihn ersetzen. Wie können wir diese Leere ausfüllen?« Sie gab einen kleinen Jammerlaut von sich.
Er legte die Arme leicht um sie, und sie barg einen Moment den Kopf an seiner Brust, sie sahen aus wie ein Liebespaar. Brians Schmerz verstärkte sich. Seine unterdrückten Gefühle für sie peinigten ihn bis aufs Blut, aber dahinter verbarg sich eine weit größere Qual. »Ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll.«
»Und Ihr wart immer so gut im Umgang mit Worten.« Ihre Stimme klang spröde. »Jetzt findet Ihr keine für mich?«
»Sie sind alle nur noch Asche im Wind«, erwiderte er heiser. »Ich habe getan, worum Ihr mich gebeten habt, und sie verbrannt – zumindest die, auf die es ankam.«
Sie trat einen Schritt zurück, um ihn anzusehen, dann fiel ihr Blick auf seinen Nackenansatz, und ihre Augen wurden schmal. Sie streckte eine Hand aus, um seinen Hals zu berüh ren, und ehe er zurückweichen konnte, spürte er ihre kühlen Finger auf den nässenden Wunden.
»Jesus Christus, Brian, ein härenes Hemd!« Nacktes Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht wider.
»Das ist eine Sache zwischen meinem Gewissen und Gott«, erwiderte er gepresst, »und geht niemanden sonst etwas an. Noch nicht einmal Euch.«
»Wie lange tragt Ihr das schon?«
»Ist das wichtig?« Er wandte sich ab, trat zu dem offenen Fenster und blieb in dem kalten Luftzug stehen. »Es hilft mir, nicht den Verstand zu verlieren«, sagte er in einem trostlosen Tonfall. »Manchmal glaube ich, die dunklen Gedanken in meinem Kopf treiben mich in den Wahnsinn, aber das Hemd hält sie in Schach – einigermaßen jedenfalls. Wenn ich das Fleisch martere, mindert das meinen peinigenden Geist.«
Sie ahnte schon lange, dass ihn etwas bedrückte, und seine Worte lösten in ihr eine ebenso große Besorgnis aus wie seine äußere Erscheinung. Das war nicht mehr der vor Energie sprühende Mann mit den leuchtenden Augen, der sie bei ihrer Rückkehr aus Deutschland auf der Straße in Empfang genommen und in einer stürmischen Nacht ein Zelt aufgebaut hatte.
»Als ich als kleiner Junge in Britannien lebte, hat man mir alle Freiheiten gelassen. Dann sorgte mein Vater dafür, dass ich von Eurem Vater am englischen Hof erzogen wurde. Es sei eine Gelegenheit, die sich nicht jedem biete, sagte er. Ich würde vieles lernen und eine Ausbildung zum Krieger erhalten, und wenn ich mich anstrengen würde, sei ich eines Tages ein mächtiger und einflussreicher Lord. Ich
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