Die Hueterin der Krone
einzusetzen.
Will grübelte darüber nach, als er die zehn Mark und das Packpferd als Verlust abschrieb, sein Beitrag zur Abreise des jungen Henry. Stephen hatte allen befohlen, sich an der Finanzierung seiner Reise zu beteiligen, damit die königlichen Schatztruhen nicht mit der gesamten Summe belastet wurden. Aber nun war es eben passiert. Und die Männer hatten Gelegenheit gehabt, sich ein Urteil über den Sohn der Kaiserin zu bilden, und sie waren von ihm beeindruckt gewesen. Stephens Sohn Eustace verfügte nicht über ein solches Charisma; er war ein gewöhnlicher junger Mann ohne besondere Fähigkeiten, während Henrys Persönlichkeit so hell leuchtete wie sein Haar. Stephen versuchte, Rom dazu zu bringen, Eustace als Thronerben Englands anzuerkennen, war aber sowohl beim Papst als auch beim Erzbischof von Canterbury auf taube Ohren gestoßen. Niemand hier am Hof würde sich von Stephen abwenden, dazu standen sie zu lange in seinen Diensten, aber viele begannen sich über die Nachfolgerfrage Gedanken zu machen. Will war fast sicher, dass sich das Gespräch, das er mit Henry beim Schachspiel geführt hatte, in den Reihen von Stephens Baronen häufig wiederholt hatte.
»Es ist mit einem Mal sehr still hier, nicht wahr, Will?«, bemerkte Robert, Earl of Leicester, als er sich auf dem Stallhof zu Will gesellte, der die leeren Boxen der Tiere betrachtete.
Will musterte Leicester lange, dessen Bruder Waleran de Meulan in der Normandie Vasall der Kaiserin war. »Stephen ist sicher erleichtert.«
Leicester lächelte. »Ich glaube, das sind wir alle, aber zugleich fehlt uns etwas – auch wenn kaum jemand den Mut hat, das zuzugeben.« Er ging zu einem rotbraunen Hengst hinüber, der draußen angebunden war, während der Stallbursche seine Box ausmistete. »Was haltet Ihr denn von ihm?« Er fuhr mit der Hand über den Hals des Tieres.
»Von dem Pferd? Ein schönes Tier.«
»Oh, kommt schon.« Leicesters Augen wurden schmal. »Spielt nicht den blauäugigen Tölpel, D’Albini. Keiner von uns wird Stephen im Stich lassen, aber es dauert nicht mehr lange, bis dieser Junge körperlich wie geistig ein Mann ist. Wie viele hier werden wohl Stephens Erben folgen, wenn eine Entscheidung ansteht, und wie viele diesem jungen Rotschopf?«
Will verzog das Gesicht. »Zu schade, dass all das nicht vor zehn Jahren ohne Krieg geregelt werden konnte.«
»Im Rückblick ja«, erwiderte Leicester. »Wir konnten weder wissen, wie sich der Sohn der Kaiserin entwickelt, noch, was aus Eustace wird. Jetzt hatten wir Gelegenheit, uns eine Meinung zu bilden.« Er nickte Will viel sagend zu. »Henry FitzEmpress wusste genau, was er tat. Seine englische Eskapade mag ja katastrophal begonnen haben, aber er hat sie letztendlich zu seinem Vorteil genutzt. Wie viele andere Männer führen wohl gerade in einer stillen Ecke dasselbe Gespräch wie wir? Die Zeit ist noch nicht reif, aber wenn es so weit ist, ist es unsere Pflicht, sie zu nutzen – zum Wohl aller.«
Matilda biss sich auf die Lippe, als der Bote mit einer Verbeugung die Kammer verließ. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder entsetzt sein sollte, dass Henry sich an Stephen gewandt und ihn um das Geld für seine Heimkehr gebeten hatte.
»Aber er hat Mut, das musst du zugeben«, sagte sie zu Robert, der die Nachricht mit eisigem Schweigen zur Kenntnis genommen hatte.
»Das ist Ansichtssache«, knurrte er. »Man könnte sein Verhalten aber auch als höchst leichtsinnig und eigenwillig be zeichnen. Was, wenn Stephen ihn in den Kerker geworfen hätte? Oder ihn gleich hätte töten lassen? Dieses ganze Unternehmen war von Anfang bis Ende blanker Irrsinn!«
Matilda tippte sich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn. »Am Anfang ja, da gebe ich dir Recht, aber jetzt ist er tiefer in Stephens Lager eingedrungen, als es uns oder unseren geschicktesten Spionen je gelungen ist.«
»Und was glaubst du, was für einen Eindruck Stephens Barone von ihm gewonnen haben?«, fragte Robert verdrossen.
»Sie werden bemerkt haben, dass er über Kühnheit und Eigeninitiative verfügt. Immerhin hat er es verstanden, sich Stephens finanzielle Unterstützung zu sichern.«
»Das dürfte nicht weiter schwer gewesen sein. Denk nur daran, wie bedenkenlos sich Stephen früher aus den Schatztruhen deines Vaters bedient hat.«
»Ja, aber seine Männer legen ihm das nicht als Großzügigkeit aus, sondern sehen darin nur ein weiteres Beispiel für seine Schwäche. Indem er sich einbildete, sich von einer lästigen
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