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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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anders aus? Egal, was immer es auch war, sie musste fertig werden. Nur darauf kam es jetzt an.
    Agnes setzte den Topf in das Loch und häufte hastig wieder Erde darauf. Mit den Füßen trat sie anschließend den Boden etwas glatt, aber nicht zu glatt, und trat einen Schritt zurück, um ihr Werk kritisch zu begutachten.
    Ein Vogelruf ließ sie zusammenschrecken. Ein nasser Zaunkönig schüttelte sein Gefieder, bevor er aufflog.

    Beim Pilzlesen musste Ava an Mathis denken. Ihr Aufschrei, als er in der Regnitz versunken war, hatte alle Zuschauer in Bewegung versetzt. Sie riefen, liefen durcheinander, die Mutigsten sprangen ihm nach. Am liebsten hätte sie sich selber ins kalte Wasser gestürzt; einzig und allein die Schwangerschaft hatte sie davon abgehalten.
    Stundenlang stocherten die Männer mit langen Stangen im Fluss, obwohl der Wilderer nur ein Außenseiter war, der ihnen übel mitgespielt hatte. Bastian Mendel, besorgt und bleich, ließ es sich nicht nehmen, die Rettungsversuche persönlich zu überwachen. Doch alle Anstrengungen erwiesen sich als vergeblich.
    Als es Nacht geworden war, dachte niemand mehr an den Fischertanz, den alle ein ganzes Jahr lang herbeigesehnt hatten. Noch immer flackerten Kienspäne und Talgfunzeln wie verirrte Seelenlichter entlang des Ufers. Irgendwann stellte man die Suche ein. Mathis war und blieb verschwunden.
    »Das kann dauern, bis die Regnitz ihre Leichen wieder freigibt. Und dann erkennt man sie oftmals nicht wieder.« Der lakonische Spruch ihres Nachbarn hatte Ava endgültig dazu gebracht, sich abzuwenden und wegzulaufen.
    Seitdem war das Haus ihr einziger Halt geworden, zumindest tagsüber, denn nachts quälten sie heftige Träume, in denen Mathis nach Atem rang oder versuchte, beinlos aus dem Wasser zu kriechen. Einmal sah sie ihn gefangen in einem riesigen Ottereisen, und sie erwachte schweißnass.
    Doch sobald Ava die ledrige Oberfläche der getrockneten Pilze berührte, war er wieder bei ihr. Sein Geruch nach Wald und Fluss, die schnörkellose Sprache, seine Wildheit. Mathis war ein exzellenter Pilzkenner; vieles von dem, was sie über diese Gewächse wusste, stammte von ihm.
    Herbsttrompete, Kuhmaul, Kupferroten Gelbfuß, Maronen, Grünlinge und ein paar der selten vorkommenden Steinpilze, die sie besonders liebte, hatte sie gereinigt, zerteilt und zum Trocknen ausgelegt. Auch vereinzelte Rötelritterlinge waren darunter, untrügliches Indiz, dass das Ende der Pilzsaison nahte.
    Die Giftpilze, von denen sie jedes Jahr einen bescheidenen Vorrat zu Heilzwecken anlegte, berührte sie nur durch ein Leinentuch. Sie war von jeher respektvoll mit ihnen umgegangen, zerlegte sie nur mit einem besonderen Messer und bewahrte sie streng getrennt von den übrigen auf.
    Und es gab noch einen dritten Haufen, ebenso vorbehandelt, den sie mit besonderem Interesse betrachtete: schmutzig gelbbraune Pilze mit breitem Hut und hellen Lamellen, die vorzugsweise auf Weiden wuchsen. Bereits einige Bissen, sorgfältig zerkaut, genügten, um die Wahrnehmung zu verfeinern – und damit Dinge zu sehen, die sonst im Verborgenen schlummerten.
    Die Versuchung war groß, denn es gab vieles, was sie wissen wollte, und in anderen Zeiten hätte Ava nicht lange überlegt, sondern einfach gehandelt. Jetzt aber zögerte sie. Es war nicht nur das Kind in ihrem Bauch. Es war die Scheu vor jener besonderen Nacht, in der, wie Ava wusste, der Schleier zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten zum Zerreißen fein ist. Es gab kein Grab in Bamberg, das sie an Allerheiligen mit Blumen und Lichtern hätte schmücken können, wie all die anderen es taten, aber in ihr war die Erinnerung an ihre Toten lebendig und machte sie heute besonders dünnhäutig. Wenigstens war ihr nicht mehr übel wie in den vergangenen Wochen. Dafür begann ihr Körper sich zu verändern, wurde weicher und schwerer. Vor allem zwang er sie dazu, mehr Rücksicht als bisher auf ihn zu nehmen.
    Ava war gerade dabei, ihre Messer zu säubern, als Schritte sie aus ihrer Konzentration rissen.
    »Veit – am helllichten Tag! Ist etwas geschehen?«
    »Sehnsucht hatte ich. Unstillbare Sehnsucht. Das ist geschehen.« Er wollte sie umarmen, Ava aber tat einen Schritt beiseite und ließ ihn ins Leere greifen.
    »So unstillbar wird sie schon nicht gewesen sein.«
    »Was redest du da?« Er starrte sie verblüfft an.
    »Weil seit Kirchweih bis heute ordentlich Zeit verstrichen ist. Und weil du schon auf dem Markt so getan hast, als sei ich eine Fremde

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