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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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»Weißt du, dass ich dich beneide?«
    »Mich? Weshalb? Du bist ein Mann Gottes – und ich nur ein einfacher Schnitzer.«
    »Ja, ich beneide dich, denn du hauchst dem Holz Leben ein mit deinen Händen. Und beseelst somit leblose Materie. Das ist ein Schöpfungsakt, Simon. Und vor dem Schöpfen hab ich von jeher den allergrößten Respekt.« Adams Stimme hatte auf einmal einen seltsamen Unterton. »Ich hab mich gegen das Leben versündigt, weil ich einem Treiben nicht Einhalt gebieten konnte, das nur den Tod bringt. Allerdings hatte ich gehofft, das läge für immer hinter mir. Doch nun sieht es so aus, als würde der ganze Wahnsinn noch einmal von vorn beginnen. Wie hätte ich davor fliehen können? Der Ruf kam aus zweierlei Richtungen. Und trotzdem wünschte ich, ich könnte mit dir tauschen, Simon.«
    Er streckte seine Hände in den verschneiten Fellhandschuhen aus. »Sieh sie dir an! Sie taugen nun einmal nicht für Klöppel und Schnitzeisen.«
    »Dafür können sie Segen spenden, Kinder taufen und Sterbende ölen«, sagte Simon. »Du darfst nicht mit deinem Schicksal hadern, Adam. Das wäre nicht richtig.«
    »Was aber, wenn ich es doch tue? Und jetzt, da ich dich gefunden habe, mehr denn je?«
    Der aufkommende Sturm verschlug Simon die Antwort.
    »Dort drüben ist ein Bauernhof«, schrie er. »Wir sollten um Unterschlupf bitten.«
    Die junge Bäuerin, einen weinenden Säugling an die Brust gedrückt, öffnete auf ihr Klopfen hin die Tür nur einen Spaltbreit, während von hinten ein Alter in dem harten Dialekt der Gegend etwas zeterte, das sie kaum verstanden. »Gasthaus« war das Einzige, was bei ihnen hängen blieb. Als sie nach einem anstrengenden Marsch durch den hohen Schnee wenig später links ein paar Häuser liegen sahen, glaubten sie sich fast am Ziel. Schließlich gelangten sie zu einem tief verschneiten Holzbau, an dem ein verbeultes Wirtshausschild baumelte.
    »Zum goldenen Stern.« Trotz der Kälte musste Simon grinsen. »Ein Zeichen, trotz allem, glaubst du nicht?«
    Sie brachten Lucie in den Stall, den sie sich mit ein paar mageren Kühen teilen musste, luden die Stoffballen ab und trugen sie nach drinnen. Vor einem Kachelofen saß eine Hand voll bärtiger Männer um einen Tisch beim Würfelspiel.
    Es dauerte, bis der Wirt sich aus der Küche bequemte. Die Frage nach einem Zimmer beantwortete er zunächst mit einem unwilligen Schulterzucken.
    »Es gibt nur noch eines, das halbwegs bewohnbar ist«, brachte er schließlich hervor. Beim Reden hüpfte der Adamsapfel an seinem mageren Hals auf und ab. »Wer seid ihr überhaupt? Und woher kommt ihr?«
    »Eines reicht«, sagte Adam schnell, bevor Simon etwas antworten konnte. »Wir sind Brüder. Auf dem Weg von Italien nach Bamberg.« Als der Wirt sie noch immer misstrauisch beäugte, knöpfte er seinen Mantel auf. Das schlichte Holzkreuz auf seiner Brust hellte die Miene des Wirts sichtlich auf.
    »Ein Priester«, sagte er. »Und du?«
    »Ich bin Krippenschnitzer«, sagte Simon.
    »Ein Priester und ein Krippenschnitzer.« Jetzt sah er beinahe freundlich aus. »Es gibt Kesselfleisch und eingelegtes Kraut. Und Bier, so viel ihr wollt. Hängt eure nassen Sachen an den Ofen. Dort drüben könnt ihr die Ballen stapeln. Ich werde die Luke aufmachen, wenn ihr wollt. Für später. Zum Schlafengehen. Dann ist die warme Luft nach oben gestiegen.«
    »Seit wann bin ich dein Bruder?«, sagte Simon, als sie später vor den dampfenden Tellern saßen.
    »Sind wir das nicht alle?«, sagte Adam. »Kinder Gottes und damit Brüder und Schwestern?« Er schaute hinüber zum Wirt, der sich inzwischen großzügig von seinem Selbstgebrannten bediente. »Einfache Antworten auf schwierige Fragen. Manchmal kann das die Rettung sein. Das hab ich schon in jungen Jahren bei den Jesuiten gelernt.«
    »Auch wenn es eine Lüge ist?«, sagte Simon.
    »Es ist keine Lüge, Simon. Kein Bruder könnte mir näher sein als du.«
    Der Blick der hellbraunen Augen war so zwingend, dass Simon den Kopf senken musste. Im Traum hatte er ihn schon berührt. Aber bis auf das eine Mal, das inzwischen so lange zurücklag, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte, noch nicht in der realen Welt.
    »Erzähl mir wieder vom Schnitzen«, fuhr Adam fort. »Was geht in deinem Kopf vor, wenn deine Hände Eisen und Klöppel führen?«
    »Mein Vater sagt, er sei in Gedanken immer ganz bei der Figur. Wenn er einen Josef schnitzt, denkt er ihn auch. Natürlich hat er versucht, mich in seinem Sinn zu formen,

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