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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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denn mein Vater ist ein willensstarker Mann, aber es ist ihm wohl gründlich misslungen.« Er stieß ein kleines Lachen aus. »In mehr als einer Hinsicht. Denn bei mir ist alles anders. Sobald meine Hände in Bewegung sind, gehen meine Gedanken auf die Reise. Es gibt so vieles, was mir dann durch den Kopf schießt.«
    »Zum Beispiel?«, fragte Adam zwischen zwei Bissen.
    »Ach, jetzt fällt mir gerade nichts ein.« Simon hörte, wie ausweichend er klang, und schämte sich dafür. Was sollte er ihm sagen? Die Wahrheit lag so klar vor ihm, dass er selber davor erschrak. »Und das meiste ist auch nicht so wichtig. Viel lieber würd ich noch etwas über das Schöpfen von dir hören.« Mit einem Stück Brot wischte er sich den Mund ab.
    »Schöpfen? Gut – dann lass uns am besten an den Anfang zurückkehren. Gott erschuf die Welt. So hat alles begonnen.«
    »Aber woraus?«
    »Das weiß ich nicht. Kein Sterblicher weiß das. In der Bibel steht nur, dass er es getan hat.«
    »Aber gab es das Universum schon, bevor Gott die Erde geschaffen hat? Und wenn, wo kam es dann her? Das frage ich mich jedes Mal, wenn ich zum Sternenhimmel hinaufsehe.«
    »Du kannst Fragen stellen, Simon Sternen! Aber du solltest vorsichtiger sein. Das ist ein sehr ernsthafter Rat. Denn am falschen Ort zur falschen Zeit gestellt, könnte so eine Frage dein Leben gefährden.«
    »Es war schlimm, was du alles mit ansehen musstest?« Simon legte ihm die Hand auf den Arm. Seine Angst war verschwunden. Er wusste nun, wohin er gehörte.
    »Sehr schlimm«, sagte Adam. »Sie weinen und sie brüllen vor Schmerzen, wenn das Feuer sie erreicht. Und sie schreien Dinge, die man sein ganzes Leben nie mehr vergessen kann.«
    »Das Werk des Teufels?«
    »Nein. Menschenwerk, Simon«, sagte Adam. »Der Herrscher der Hölle könnte sich vieles bei uns abschauen.«
    »Eines noch, was mich bewegt.« Simons Hand auf Adams Arm wurde schwerer. Er spürte die Hitze der Haut unter dem Stoff, und eine tiefe Ruhe breitete sich in ihm aus. »Hat Gott den Satan erschaffen? Und wenn ja, weshalb? Oder war der Teufel von Anfang an da und ist ebenso stark wie Gott?«
    »Das fragst du ausgerechnet mich? Hunderte gelehrter Männer haben sich im Lauf der Jahrhunderte darüber schon in Rage diskutiert – und sind doch zu keinem gültigen Ergebnis gekommen.«

    Als sie sich zum Essen setzten, fiel Pankraz Haller das Ungleichgewicht auf ihren Tellern auf. Ihm hatte Hanna eine große Portion Hirschragout mit Rotkraut aufgetan, offenbar kräftig gewürzt, denn das Aroma von Nelke und Lorbeer kitzelte seine Nase, während vor ihr nur zwei Äpfel und eine Hand voll Nüsse lagen. Bloß beim Wein, den es heute anstelle des gewohnten Biers gab, zeigte sie keine Zurückhaltung. Sie hatte ihren Becher ebenso voll geschenkt wie seinen.
    »Bist du krank?«, sagte er. »Oder abstinent? Aber die Fastenzeit hat meines Wissens doch noch gar nicht begonnen.«
    Sie lachte. »Wer nicht viel isst, kann im neuen Jahr besser sehen«, sagte sie. »So lautet die alte Regel.«
    »Was meinst du damit?«, sagte er. »Bis das neue Jahr beginnt, dauert es doch noch eine ganze Weile.«
    »Nicht für uns. Unser neues Jahr beginnt heute Nacht. Aber vergiss gleich wieder, was ich eben gesagt habe. Schmeckt das Wild?«
    Er nickte. Es gefiel ihm nicht, wenn sie ihm auf diese Weise auswich, aber es geschah immer wieder.
    »Hat die brennende Kerze im Fenster auch etwas damit zu tun?«, sagte er nach einer Weile. »Mit eurem neuen Jahr?«
    »Nein. Ich dachte, das sei euer Brauch. Damit die Geister der Toten sich nicht verirren und den rechten Weg nach Hause finden. Ich wette, du hast Efeu an Agathes Grab gepflanzt.«
    Hanna hatte zwei Nüsse zwischen die Hände genommen und drückte sie fest gegeneinander.«
    »Hab ich. So ist der Brauch. Aber soll ich das nicht lieber für dich erledigen?«, fragte Pankraz.
    »Schon geschehen.« Die Hälften waren sauber voneinander getrennt. Hanna begann zu essen. »›Was der Efeu einmal umschlingt, das gibt er nicht mehr frei.‹ Ein Liebeszauber. Für die Ewigkeit gemacht. Daran glaubst du also auch. Dachte ich mir schon. Deshalb hab ich auch etwas Wasser und ein Stück Brot für die Ahnen auf deiner Hausschwelle gelassen. Und natürlich wird das Herdfeuer in dieser Nacht nicht ausgehen.«
    »Ich halte nichts von Aberglauben«, sagte Pankraz, heftiger, als er eigentlich beabsichtigt hatte. »Und meine Abneigung dagegen ist hinlänglich bekannt. Spätestens jetzt weißt du auch

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