Die Hüterin der Quelle
ihm dann bald die Luft zum Atmen fehlen würde und eine Ohnmacht drohte.
Ging da draußen nicht jemand vorbei? Strich nicht ein noch kühlerer Hauch als sonst durch die Gewölbe?
Schneider konnte nur durch den Fassboden lugen und damit so gut wie gar nichts erkennen. Sein Herz begann wie wild zu schlagen. Die hölzernen Wände schienen immer näher zu rücken. Sein Mund wurde trocken. Am Ende würden sie ihn zusammenquetschen wie ein wehrloses Insekt. Dann hätte die Steinerne Frau leichtes Spiel mit ihm.
Jämmerliches Wimmern ertönte. Er erstarrte.
Es dauerte eine ganze Zeit, bis ihm bewusst wurde, dass es aus seinem eigenen Kehlkopf kam.
Er schüttelte die Erstarrung ab und kletterte so eilig aus dem Fass, dass die Kerze dabei verlöschte. Nein, diese Arbeit sollte irgendein anderer übernehmen! Und wenn der Braumeister ihn noch so sehr deswegen schalt.
Seine Schulter würde niemals wieder heilen. Davon war er inzwischen überzeugt. Ebenso ein bösartiger Drutenzauber wie die Reihe von Unglücksfällen, die sich ereignet hatten, seit Haller zum Hoflieferanten des Fürstbischofs ernannt worden war.
Schneider berührte seine Brust, die Hüften. Sein Geschlecht. Seit neuestem trug er ein Heiligenamulett nicht nur um den Hals, sondern auch zusätzlich eins in jeder Rocktasche. Sogar in den Hosenlatz hatte er sich eine dicke Schicht geweihtes Osterwachs gesteckt, damit es ihn vor teuflischen Unholden bewahrte.
»Aber wie kann es Schutz und Heil geben, wenn Pankraz Haller sich das Böse ins eigene Haus geholt hat?«, murmelte er vor sich hin, während er den Felsenkeller verschloss. Der Klang der eigenen Stimme war tröstlich, und es störte ihn längst nicht mehr, wenn andere darüber lachten.
Tief in Gedanken versunken, lief er den Stephansberg hinunter. Ein Nachbar grüßte ihn, als er ihm entgegenkam. Schneider bemerkte es nicht einmal, so wild wirbelten die Gedanken in seinem Schädel durcheinander. Unfassbar für ihn, dass ausgerechnet die junge Hümlin Hallers Wirtschafterin geworden war. Die Tochter einer verbrannten Hexe und selber mit allen Wassern gewaschen! Hatte er nicht schmerzlich am eigenen Leib erfahren müssen, wie hochfahrend sich die Lahme ihm gegenüber benommen hatte, als er sie um einen kleinen Gefallen gebeten hatte?
In seiner Erinnerung verschwammen die Worte, die sie ihm damals an den Kopf geworfen hatte, aber dass es Drohungen, ja bösartige Verwünschungen gewesen waren, das hätte er beim Herzblut Jesu beschwören können. Haller hatte ihm nicht glauben wollen, schon damals nicht. Wahrscheinlich musste erst ein großes Unglück geschehen, damit der stolze Braumeister einsah, welches Unrecht er ihm damit zugefügt hatte.
Er blieb stehen, als er das Brauhaus im Sand erreicht hatte, und starrte durch die blanken Butzenscheiben hinein. Bänke und Tische waren geschrubbt. Der Boden war mit frischem Sand bestreut. Er hörte, wie neue Schankfässer im Hof abgeladen wurden. Den Scherz, den der jüngste Geselle machte. Das Lachen der Mägde. Geräusche eines neuen, hoffnungsvollen Tages. Alles im Storchenbräu machte sich bereit für die Zecher, die sich bald schon einfinden würden, um auch heute wieder viele Münzen in Pankraz Hallers Taschen fließen zu lassen.
Natürlich konnte er es ebenso wenig mit dessen Reichtum aufnehmen wie mit dem Einfluss, den der Braumeister in Bamberg hatte. Er, der nur ein einfacher Braugeselle war, ledig, arm, einflusslos, weder Ratsherr noch Hoflieferant. Aber eines konnte er tun, und daran würde ihn keiner hindern, solange noch ein Funken Atem in ihm war: die Augen offen halten. Denn seit Förners Predigten wusste Georg Schneider, dass dort, wo eine Hexe lebte, auch die anderen aus ihrer teuflischen Zunft nicht weit sein konnten.
Er sah müde aus und verdrossen, das fiel Marie gleich auf, als Veit zurückkehrte. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er sehr viel länger wegbleiben würde, wie so oft in letzter Zeit, sonst hätte sie die Göhlerin nicht angewiesen, alles Geschirr und Besteck herauszuräumen und Schränke und Truhen gründlich zu säubern. In der Speisekammer baumelte bereits seit einigen Tagen ein prächtiger Fasan am Haken, dessen Füße allmählich grünlich zu schillern begannen. Untrügliches Zeichen, dass er zum Braten mehr als bereit war. Am morgigen Feiertag wollte sie ihn als Festessen auf den Tisch bringen, und dazu gehörte es für sie, dass alles andere blitzblank war.
»Muss das wirklich sein?«, fragte Veit
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