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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Verstreichen der Tage. Sie wusste, dass Harlan teuer für diesen Fraß bezahlen musste, weil sie ihn einmal zu ihr gelassen hatten, ganz am Anfang, als Agnes noch geglaubt hatte, dieser Alptraum fände ein schnelles Ende.
    Inzwischen waren Tage vergangen, vielleicht sogar Wochen, sie wusste es nicht. Sie hatte nur ihre Gedanken, ihre Erinnerungen und ihren Körper, ihr einziges Kapital. Glücklicherweise war sie schlau genug gewesen, Harlan zu reizen, an jenem letzten Abend, bevor die Büttel sie geholt hatten. Es hatte keiner großen Anstrengung bedurft, und die Angst, die sie schon in sich gespürt hatte, war ein weiterer Antrieb gewesen. Zum ersten Mal seit langem hatte sie es genossen, bei ihm zu liegen, seine Lust zu spüren, seinen kräftigen Körper, in dem so viel Kraft und Leben steckte.
    Sie musste schwanger sein!
    Ihre Brüste waren hart, ihr Bauch stand leicht vor, obwohl das Fett Tag für Tag von Hüften und Schenkeln regelrecht schmolz. Wenn sie sich betastete, spürte sie Knochen, wo vorher weiches Fleisch gewesen war. Jetzt sah sie endlich wieder so aus, wie sie es sich gewünscht hatte, jetzt, wo sie im Loch saß und niemand sie sehen konnte.
    Einmal hatte man ihr die Folterinstrumente gezeigt – ein Anblick, den sie ihrer Lebtag nicht mehr vergessen würde. Aber bisher war sie glimpflich davongekommen und lediglich verhört und jedes Mal ermahnt worden, die Wahrheit zu sagen.
    Welche Wahrheit?
    Manchmal konnte Agnes sich kaum noch erinnern, was wahr war und was gelogen. Hier, in der Einsamkeit, zog das Leben draußen sich zusammen auf einen einzelnen schmerzhaften Punkt, der so hell war, dass sie ihn kaum ertragen konnte. Dann verschwamm alles vor ihren Augen, und sie versank in einer Art Dämmerzustand, stumpf, aber erleichtert.
    Nur ihr Körper blieb wach. Wie hätte es auch anders sein können, wo doch wieder neues Leben in ihm keimte?
    Sie hatte ihren Ehering mit dem großen Granatstein dafür geopfert, um Harlan diese Nachricht zu schicken. Er würde sie nicht allein lassen in diesem Zustand, das wusste sie. Er konnte Veit Sternen nicht das Wasser reichen, doch wohin hatte diese Vernarrtheit sie letztlich gebracht?
    Agnes leistete einen Schwur nach dem anderen.
    Wenn sie erst einmal hier raus war, würde sie Dutzende von Kerzen für die Gottesmutter anzünden. Nie mehr eine Messe versäumen. Den Armen spenden. Nie mehr lügen, fluchen, keine schlechten Reden führen gegen andere. Eine Heilige würde sie werden – eine Heilige mit einem neugeborenen Kind.
    Ihre Hände strichen über ihren Bauch.
    »Lass mich nicht im Stich«, flüsterte sie, denn den ganzen Tag schon war er immer wieder hart geworden, hatte sich krampfhaft zusammengezogen. Das lag am jämmerlichen Essen, an dem stinkenden Eimer, in den sie ihre Notdurft verrichten musste. An den dünnen Decken, die kaum Wärme abgaben.
    Sie versuchte, sich zu entspannen, dem Stechen entgegenzuatmen, so, wie sie es während der Geburten getan hatte. Ihr Körper durfte sie nicht enttäuschen, jetzt erst recht nicht.
    Irgendwann war sie eingeschlafen und träumte von Veit Sternens grünlichen Teufelsaugen.
    Ein Krähenschrei schreckte sie auf.
    Sie tastete unter sich, spürte Nässe. Agnes weinte, als sie das Blut an ihren Händen roch.

    Die Kinder schliefen bereits, als Ava ein Pochen an der Tür hörte. Sie öffnete und schaute in Veits blasses Gesicht.
    »Herein mit dir!«, sagte sie.»Ich freue mich, dich zu sehen.«
    Seine Augen glitten über ihren Körper.
    »Ja, es wächst. Und ich kann es nicht mehr lang verstecken«, sagte sie mit einem Lachen. »Es scheint ein sehr eigenwilliges kleines Wesen zu sein.«
    »Wie die Mutter.« Die Spur eines Lächelns um seinen Mund. »Ich musste dich sehen, Ava. Ich hätte schon viel früher kommen sollen. Aber es ist so viel geschehen inzwischen.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Lenchen und Selina. Was passiert da nur Schreckliches, Veit?«
    Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, barg das Gesicht in seinen Händen.
    »Manchmal weiß ich einfach nicht mehr weiter. Selina hat sich von mir abgewandt, ohne dass ich wüsste, weshalb. Simon ist mir fremd geworden, verbringt die Nächte irgendwo in der Stadt. Meine Frau …«
    Er begegnete ihren Augen, als er aufschaute.
    »Manchmal denke ich, dass Marie alles über uns weiß«, sagte er. »Und dann wieder verhält sie sich so, als sei es ihr vollkommen gleichgültig. Mein ganzes Leben ist aus den Fugen geraten, Ava.«
    Sie griff nach seiner Hand. Die Finger

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