Die Hüterin der Quelle
ganzes Stück vor ihr, hielt kurz inne. Erst als sie ihm zunickte und damit das Zeichen gab, tauchte er unter.
Sie spürte die Strömung, die sie ohne Anstrengung weitertrieb, den Nachtwind, der durch die Bäume am Flussufer streifte. Der Mond war bereits untergegangen. Nur noch ein schwaches Licht am dunklen Himmel erinnerte an ihn.
Das Wasser liebkoste ihren Körper. Seine Kühle schien tief in sie einzudringen. Sie hatte keinen Otterschwanz, wie die Leute behaupteten, kein dichtes Fell, das sie vor Kälte schützte. Aber eins werden mit dem Fluss, das konnte sie.
Sobald das geschah, fiel alles von ihr ab, die Sehnsucht nach Veit, der Streit mit Mathis, der Ärger über die Frau, die das Liebesmittel von ihr verlangt hatte.
Es gab nur noch Ava und die Nacht. Ava und das Wasser, das seinen Weg nahm, seit Urzeiten, ohne sich um die Belange der Menschen zu scheren.
Sie schloss die Augen und tauchte. Es war nicht immer so, aber oft. Heute hatte sie endlich wieder das Gefühl, eins mit dem Fließen zu werden.
Es war zu dunkel, um Reka zu sehen, doch sie spürte ihn, weil er immer wieder zu ihr zurückkehrte, um sich kurz an ihr zu reiben. Auf diese Weise hatte sie ihm das Tauchen beigebracht, und es hatte gedauert, bis er mutig genug gewesen war, sich im Wasser von ihr zu entfernen.
Als Ava wieder nach oben kam, sah sie, dass Reka einen Fisch im Maul hatte. Ab und zu fischte er für sie, brachte ihr die Beute, und jedes Mal erfüllte es sie mit tiefer Zuneigung.
»Das ist deiner«, sagte sie. »Genieß ihn! Aber ich bedanke mich natürlich.«
Er schien jedes Wort zu verstehen, schwamm weiter, tauchte unter, und irgendwann war er verschwunden. Aber Reka würde wiederkommen, und diese Gewissheit machte sie froh.
Am dicht wachsenden Ufergestrüpp zog Ava sich nach oben. Sie blieb sitzen, eine ganze Weile, bis das Wasser auf ihrer Haut verdunstete und sie zu frösteln begann.
Dann stand sie auf und ging zum Haus zurück.
VIER
V eit wurde immer ruheloser; Marie erkannte es an der steilen Falte zwischen seinen Brauen und an der Art, wie er die Mundwinkel herunterzog. Er hatte sich morgens nicht einmal rasiert, so eilig hatte er es, aus dem Haus zu kommen. Der bläuliche Bartschatten unterstrich die Unzufriedenheit in seinem Gesicht. Ständig sah er sich um, als ob er etwas suche. Dabei waren viele der Stände verwaist, und es gab weit und breit nichts zu sehen, das auch nur von geringstem Interesse gewesen wäre. Nur ein paar magere Tauben stolzierten umher und pickten auf dem feuchten Boden nach Futter.
»Das ist alles?«, sagte er.
»Alles?«, wiederholte der feiste Frankfurter aufgebracht. Ein Platzregen hatte den Markt leer gefegt. Erst jetzt, wo die Sonne wieder hinter den Wolken hervorschaute, kehrten Händler und Käufer nach und nach zurück. »Vor dir liegt die stattlichste Stoffauswahl im gesamten Mainverlauf! Was um Himmels willen suchst du noch?«
Bei den ersten Tropfen hatte er seine Ware blitzschnell weggeräumt. Inzwischen aber stapelte sich wieder, was er anzubieten hatte. Veit hatte Wolle, Barchent, Hanf und Nessel eingehend geprüft und sich von dem einen oder anderen Ballen sogar ein paar Ellen abschneiden lassen. Zufrieden wirkte er trotzdem nicht.
»Nachtblauen Brokat. Schillernde Seide. Purpurroten Samt.«
In gespielter Verzweiflung drehte der Händler sich einmal um die eigene Achse.
»Ein verregneter Jakobimarkt – und nichts als Sonderwünsche! Aber bei euch Bambergern ist ja keiner gegen Überraschungen gefeit. Die Leute kaufen miserabel, der Himmel heult, und drüben in Zeil schichten sie schon wieder das Holz für Scheiterhaufen. Wird höchste Zeit, dass ich mich nach einer anderen Gegend umsehe!«
Flink nahmen seine Augen Maß an Marie.
»Hier. Das wär doch was!« Er hielt Veit einen Stoff entgegen. »Bestes Leinen, ein Restposten, aber was für einer! Diese Ausgabe sollte dir dein schönes Weib wert sein. Aber wozu rede ich, sieh doch selbst – mit diesem Grün wird ihr Haar schimmern wie ein poliertes Kupferdach.«
»Du täuschst dich«, sagte sie schnell, weil sie bemerkte, dass Veits Gesicht immer finsterer wurde. »Es geht nicht um mich.«
»Ja, sie hat Recht. Was ich suche, sind Stoffe für meine Krippenfiguren. Aber du hast nicht das Richtige. Das hab ich schon gesehen.«
»Samt und Brokate? Bedaure – nicht auf diesem Bauernmarkt. Solche Kostbarkeiten findest du nicht einmal im hiesigen Handelskontor.«
»Ich weiß«, sagte Veit düster. »Da haben wir uns
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