Die Hüterin der Quelle
gewissen Dingen, die man sich einführen kann …«
»Dein letztes Kind ist noch sehr klein«, sagte Ava, ohne aufzuschauen.
»Ja, erst ein paar Monate. Aber woher weißt du …«
Ava sagte nichts von den Milchspritzern am Mieder, die ihr sofort aufgefallen waren. Und von den kleinen weißen Schüppchen, mit denen Agnes’ Brusttuch bedeckt war.
»Man kann es an deinem Gesicht sehen. Und an deinen Brüsten. Dazu braucht man keine Kristallkugel.«
Agnes hätte am liebsten die Fische vom Tisch gefegt, so unruhig war sie.
»Der Mann, den ich liebe, er ist nicht … Wir sind beide verheiratet, aber nicht miteinander, verstehst du?«
Hatte die Otterfrau genickt? Sie redete einfach weiter.
»Wir haben uns geliebt, als ich schon schwanger war – und es war … wie im Himmel. Dann aber habe ich meinen Sohn geboren, und mein Geliebter … er wurde krank. Die Gicht! Dabei braucht er seine Hände wie kein anderer und nicht nur, um mich zu streicheln. Es geht ihm wieder besser, aber wir sind seitdem nicht mehr … ach, du verstehst schon!«
Ava verzog keine Miene.
»Er schaut mich kaum noch an. Aber ich will ihn zurück. Gib mir irgendetwas, ein Kraut, einen Trunk, einen Stein, was weiß ich! Nur wirken muss es.« Sie griff unter ihre Schürze und zog eine prall gefüllte Geldkatze hervor. »Du wirst es nicht bereuen. Ich zahle gut.«
»Steck dein Geld wieder ein.«
»Später. Gib mir zuerst das Mittel. Die beiden Mittel. Mehr will ich nicht!«
Die Fische waren sortiert zurück in den Korb gewandert. Ava stand auf und stellte ihn beiseite. Es dauerte eine Weile, bis Agnes begriff.
»Du wirst mir nicht helfen?« Sie starrte Ava an.
»Du willst nicht schwanger werden und fragst mich im gleichen Atemzug nach einem Liebeszauber? Überleg doch mal in Ruhe: Wenn du das eine lässt, brauchst du dich auch um das andere nicht mehr zu sorgen.«
»So war es aber nicht gemeint.« Agnes wurde wütend. »Ich bin gekommen, um mir deine Hilfe zu holen …«
»Und ich entscheide, wem ich sie gebe«, sagte Ava ruhig. »Meine Kräuter helfen Leiden lindern und stillen Schmerzen. Gegen Langeweile taugen sie nicht.«
Sie wandte sich um. Für sie schien die Unterhaltungbeendet.
»Aber ich leide!« Agnes war aufgesprungen. »Ich kann an nichts anderes mehr denken. Seine grünen Augen, seine silbernen Locken, die wunderbaren Hände, mit denen er jedes Holzstück zum Leben erwecken kann …«
Ein Ruck schien durch Ava zu gehen.
Sie fuhr herum und musterte Agnes eingehend, bis dieser ganz unbehaglich zumute wurde.
»Geh«, sagte sie. »Es reicht.«
»Du wirfst mich raus? Das wird dir noch Leid tun!«, sagte Agnes aufgebracht. »Ich werde dafür sorgen, dass du …«
»Der Schorf bei deinem Jüngsten fällt übrigens ab, wenn du ihn in lauwarme Kamillebäder setzt. Und gib ihm Ziegenmilch, die wird er besser vertragen«, sagte Ava, inzwischen schon am Fuß der Treppe angelangt.
Agnes starrte sie mit offenem Mund an.
Dann raffte sie ihre Röcke und machte, dass sie aus dem Haus kam.
Selina erhob sich hinter den großen Büschen, als sie die Pacherin das Haus verlassen sah. Sie schritt schnell aus und wirkte verärgert. Was immer die Frau des Holzhändlers hier gewollt hatte, sie schien es nicht erhalten zu haben.
Sie verzichtete darauf, ihr nachzugehen. Es reichte, dass Agnes sie hierher geführt hatte. Es musste das richtige Haus sein, Avas Haus, denn sie hatte die Kleine mit der roten Haube am Fenster entdeckt.
Ob Lenz kommen würde, um nach ihr zu sehen?
Die freudige Erregung, die sie bei diesem Gedanken überfiel, verschwand wieder, als sie an die Bande dachte. Er würde nicht allein kommen. Und auf eine weitere Konfrontation mit Kuni konnte sie gut verzichten.
Das Gewitter schien sich verzogen zu haben, aber noch immer lag eine unerträgliche Schwüle in der Luft. Selina war fast bereit, nach Hause zu gehen und Marie doch noch beim Backen zu helfen, als die Haustür ein weiteres Mal geöffnet wurde.
Eine kräftige, junge Frau mit braunem Haar trat heraus. Und neben ihr ging ein Otter, so friedlich wie ein zahmes Hündchen.
Die Otterfrau! Das musste Ava sein, von der Lenz gesprochen hatte.
Selinas Herz begann schneller zu schlagen, und dieses Mal war nicht Lenz’ blonder Schopf der Auslöser.
Ava, die Otterfrau, war niemand anders als die Fischverkäuferin vom Markt, die ihr Vater vor einigen Wochen so sehnsüchtig betrachtet hatte.
Als Ava in den Fluss glitt, stieß sie einen Seufzer aus. Reka, ein
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