Die Hüterin der Quelle
er den Teufel kommen, rannten sie auch schon davon. Toni konnte wirklich stolz sein: Seit der ersten Begegnung war es Beelzebub nicht mehr geglückt, ihn zu erwischen.
Allerdings lebte er seitdem in ständiger Wachsamkeit. Und die forderte ihren Preis. Tagsüber mochte er alles unter Kontrolle haben, doch nachts verhielt es sich anders. Manchmal schoss der Teufel in Tonis Traum, packte und schüttelte ihn, bis seine Seele herausflog wie eine kleine weiße Feder. Dann hörte er hohles Gelächter und kam beinahe um vor Angst. Im schlimmsten seiner Alpträume hatte er dünne, eiskalte Finger um seine Kehle gespürt, die so unbarmherzig zudrückten, bis ihm eine blaue Zunge heraushing und Toni für immer verstummte.
Schreiend war er erwacht, nass vor Furcht. Später hatte er erwogen, Lenz ins Vertrauen zu ziehen, es dann aber lieber doch bleiben lassen.
Sein großes Vorbild hatte sich irgendwie verändert. Immer still, immer abwesend, als ob ihm der Kopf weggeflogen und nur noch eine leere Kugel auf den Schultern zurückgeblieben sei. Wann hatte er Lenz eigentlich zum letzten Mal lachen hören?
Es war so lang her, dass Toni sich kaum noch daran erinnern konnte. Außerdem hatte Lenz seit neuestem ein Flattern im linken Auge, das ihn ebenfalls irritierte. Ob diese Taube daran schuld war, die Kuni aus der Mühle vertrieben hatte? Vielleicht hatte der Teufel sie auch nachts heimgesucht und malträtiert, bis sie schließlich ihr Gehör verloren hatte.
Toni nahm sich vor, auch das so schnell wie möglich herauszubekommen.
Sie schwitzten, obwohl die Ladung nicht schwer war, aber der alte Karren, auf den sie die in Sackleinen gehüllten Figuren geladen hatten, war einfach zu schwerfällig.
»Morgen früh fliegt er in die Regnitz! Ich hab die Nase endgültig voll.«
Veits Haar war feucht von Schweiß. Er fürchtete um sein neues Wams, das unter den Achseln scheuerte. Auch Simon trug sein bestes Gewand: lederne Beinlinge, ein weißes Hemd, ein Wams aus grünem Tuch, Stulpenstiefel.
»Wir müssen uns nicht so hetzen«, sagte er, weil ihn beunruhigte, wie ungesund sich das Gesicht des Vaters gerötet hatte. »Wir sind gut in der Zeit. Und ohne uns können sie nicht beginnen!«
»Solange du nur deinen Galgenhumor behältst«, brummte Veit Sternen, wurde aber doch langsamer, bis er auf der Brücke schließlich stehen blieb. »Siehst du die Palisaden?«
»Natürlich«, sagte Simon. »Was ist mit ihnen?«
»Sie kommen mir noch höher vor als sonst. Meinst du, sie haben sie aufgestockt?«
»Keine Ahnung«, sagte Simon. »Einer feindlichen Armee würden sie trotzdem nicht standhalten. Lass uns weitergehen. Ich möchte, dass wir die Angelegenheit endlich hinter uns bringen.«
Sie klopften an das Tor.
»Vater und Sohn Sternen?«, fragte der spitznasige Frater im Kapuzinerhabit, der ihnen schließlich öffnete.
»Das sind wir. Und wir bringen …«
»Seine Exzellenz erwartet Euch. Folgt mir!«
Sie durchschritten lange Gänge, in denen schwere Kommoden standen und an deren Wänden vergilbte Porträts dunkel gekleideter Geistlicher hingen. Schließlich mussten sie mit ihrem Karren über das unebene Pflaster eines mit Weinlaub berankten Innenhofes holpern.
»Ob das unseren Figuren nicht schadet?« Veit Sternen hielt inne und überprüfte, ob alles noch an seinem Platz war. »Stell dir vor, wir bauen die Krippe auf, und etwas ist abgebrochen!«
»Wir sind gleich da«, sagte der Frater. »Der Fürstbischof hat Euch freundlicherweise das Gartenzimmer zur Verfügung gestellt. Dort könnt Ihr Euch ausbreiten.«
Es blieb ihnen keine Zeit, sich im berühmten Lustgarten des Schlosses näher umzusehen. Im Vorübergehen fiel Simon nur das Vogelhaus auf und die Orangerie, deren Glastüren geöffnet waren. Sofort hatte er wieder die Düfte des Südens in der Nase. Nicht einfach, sich danach wieder ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren.
Der Raum, in den sie schließlich kamen, war mit Marmorplatten ausgelegt, die ihn angenehm kühl hielten, und glich eher einer Halle als einem Zimmer. Ein Kreuzrippengewölbe gliederte die Decke. Seine Kappen waren über und über mit farbigen Ranken bedeckt, in denen sich Vögel und Grotesken versteckten, während an den Wänden Jagdmotive prangten. An der Südseite hatte man einen riesigen Tisch aufgestellt.
»Ich lass Euch jetzt allein. Beeilt Euch. Der Fürstbischof hasst es zu warten.«
Blicke und ein paar gemurmelte Worte genügten Veit und Simon, um sich zu verständigen. Nicht lange, und
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