Die Hüterin der Quelle
Bier und zwei Becher gebracht und der Kanzler getrunken hatte.
»Was hat es mit diesem seltsamen Krötenspruch auf sich?«, sagte er dann. »Mein Braugeselle ist mir auch so schon viel zu drutengläubisch. Du musst vorsichtig sein mit dem, was du sagst, Kilian! Die Leute könnten es zu wörtlich nehmen.«
»Später, Pankraz, dann wirst du mich besser verstehen.« Haags zerfurchtes Gesicht war blasser als gewöhnlich. »Stimmt es wirklich, dass du dir die Hümlin ins Haus geholt hast?«
»Ja«, sagte Pankraz Haller. »Allein schon, um ein Zeichen zu setzen. Außerdem schaut sie bei mir nach dem Rechten, was überfällig war. Hanna Hümlin ist eine tüchtige Frau. Mein Haus war lange schon nicht mehr so freundlich und gemütlich.« Er musterte ihn besorgt. »Was ist mit dir, Kilian? Ist etwas passiert?«
»Förner hat die leidige Angelegenheit mit meiner Mutter wieder ausgegraben.«
»Hat man sie damals nicht in allen Punkten freigesprochen?«
»Ja, und es ist allgemein bekannt, aber damit will er sich nicht mehr zufrieden geben. Er brütet über den Kopien der alten Hexenakten, wahrscheinlich schon seit Monaten. Und sein jüngster Erfolg hat ihn offenbar ermutigt, die alten Verfahren neu aufzurollen.«
»Du meinst den Fackellauf?«
Haag nickte düster. »Jetzt kann er sich sogar mit dem Willen des Volkes brüsten. Obwohl der ihm, wie wir wissen, in Wahrheit mehr als gleichgültig ist. Aber Förner ist alles willkommen, was zu seinem Ziel führt.«
»Vielleicht solltest du ihm etwas Wertvolles anbieten, um ihn zu besänftigen? Hast du daran schon einmal gedacht? Etwas, was er unbedingt haben möchte. Was ihn überrascht. Und bewegt. Vielleicht lässt er euch dann in Ruhe. Meines Wissens verehrt er Reliquien über alle Maßen. Sagtest du nicht neulich, dein Vater hätte dir eine kostbare alte Sammlung vermacht?«
»Meinst du, Förner gibt sich mit ein paar Heiligenknöchelchen zufrieden? Er will Blut, Pankraz. Frisches Menschenblut.«
»Hat er deine Mutter etwa festnehmen lassen?«
»Nein. Und er wird auch keine Gelegenheit dazu haben, obwohl es ihm sicherlich gefallen würde, jemand anzuklagen, der über ein so stattliches Vermögen verfügt! Ich hab sie zu ihrer Base nach Nürnberg geschickt. Und wie du weißt, liefert Nürnberg nicht aus.«
»Dann kann Caterina also nicht mehr zurückkommen?«
Der Kanzler nickte. Sein Blick glitt zu der Wandstickerei. Für einen Moment sah es aus, als verliere er sich in dem bunten Märchenwald. Dann gewann er seine Schärfe zurück.
»Nicht, solange Förner hier wütet. Und das ausgerechnet jetzt, wo mein Klärchen wieder schwanger ist und sie sich so auf das neue Enkelkind gefreut hat! Aber immer noch besser im Exil, als in Bamberg auf dem Scheiterhaufen zu landen.«
»Hast du nicht auch schon ans Weggehen gedacht?«, sagte Haller, der sich sehr wohl bewusst war, welch schwierige Frage er stellte. »Zusammen mit dem Rest der Familie? An Geld fehlt es euch doch nicht. Ihr könntet irgendwo ein neues Leben beginnen. Ohne Angst. Ohne stets an die Vergangenheit denken zu müssen.«
»Aber was wären wir Menschen schon ohne Vergangenheit? Erst unsere Wurzeln machen uns doch zu dem, was wir sind. Bamberg ist meine Heimat«, sagte Haag. »Hierkenne ich jeden Grashalm, jeden Stein. Seit Generationen dienen wir der Stadt. Schlimm genug, dass meine Mutterfliehen musste. Aber sie ist alt, nicht mehr ganz gesund. Für sie ist es so das Beste. Wir anderen bleiben. Wir haben das gleiche Recht, hier zu leben, wie Friedrich Förner.«
»Er wird seine Wut gegen einen von euch richten.« Pankraz war aufgestanden, begann ruhelos auf und ab zu laufen. »Gegen deine Frau, deinen erwachsenen Sohn. Gegen dich, Kilian! Ihr seid alle in Gefahr.«
»Wem sagst du das? Ich schlafe kaum noch«, sagte der Kanzler. »Und jeder Bissen liegt mir wie Blei im Magen. Aber einfach davonzulaufen, das käme mir wie ein Schuldeingeständnis vor. Wir werden bleiben und kämpfen. Wir haben uns nicht das Geringste vorzuwerfen.«
»Du siehst wirklich elend aus. Wenn du so weitermachst, richtest du dich zugrunde. Und damit ist niemandem geholfen.«
»Einem schon.« Ein bitteres Lachen. »Förner! Doch so leicht kriegt er mich nicht, Pankraz! Jetzt kommt nämlich die Kröte ins Spiel, von der dein Braugeselle gesprochen hat.«
Pankraz Haller sah ihn verständnislos an.
»Jeder hat etwas zu verbergen«, sagte Haag. »Du. Ich. Alle – also auch Förner. Ein Geheimnis, einen dunklen Fleck. Etwas, was
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