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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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bis ihre Lider brannten, und erhob sich. Ihre Muskeln schickten einen scharfen Schmerz durch ihre Glieder. Ungeachtet ihres verspannten Körpers griff sie nach der nächstbesten Kerze und trat in den Flur hinaus.
    Niemand war da.
    Sie leuchtete in jeden Winkel, öffnete die Türen, schlug Wandbehänge zur Seite, doch das Stockwerk lag in schläfriger Stille. In Marthas ehemaliger Kammer hörte sie einen Moment lang auf den beruhigend gleichmäßigen Atem des dort ruhenden Kindes, bevor sie sich der Stiege zuwandte. Bedachtsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, als sie hinunterschritt. Obwohl es nur Titus war, nach dem sie suchte, fühlte sie jene Übelkeit in sich aufsteigen, die sie immer dann erfasste, wenn Panik in ihr aufflammte.
    Wieder dieses Klappern.
    Christiane hatte Mühe, sich aufrecht zu halten und nicht zu stolpern und die Stiege hinunterzufallen. Die Kerze schwankte in ihrer Hand, das Wachs tropfte auf ihren Daumenballen und verbrannte die Haut. Von dem Wundschmerz abgelenkt, senkte sie ihre Augen. Deshalb bemerkte sie nur am Rande ihres Blickfelds eine schwarze Gestalt, deren Schatten durch den Eingangsbereich huschte. Mit einiger Verzögerung wurde der flüchtige Eindruck zu einem Bild. Das war kein Mensch, aber auch keine Ratte. Ein großes, schwarzes Tier befand sichzwischen Kellertreppe und Eingangstor unterhalb von ihr und blickte sie aus leeren Höhlen an.
    Verstört starrte Christiane auf den Pelz, der zu einer Bestie gehörte, die seelenlos und schrecklich wirkte. Sie umklammerte die Kerze mit ihren zitternden Fingern, hielt das Licht vor ihre Brust wie einen Schutzschild.
    Fürchtete der Teufel das Feuer? Nein, sie irrte. Luzifer trug das Licht.
    Christianes Gedanken fuhren Karussell. Sie war nicht mehr in der Lage, klar zu überlegen, was sie tun sollte. Wie versteinert stand sie auf der Stiege, unfähig, sich zu rühren, nur mit der quälenden, erschreckenden, furchteinflößenden Frage beschäftigt, warum der Teufel in ihr Haus gekommen war.
    Hatte sie gar nicht geträumt? War Satan zu ihr gekommen, hatte er sie mit seinen Pranken berührt? Wollte er sie in die Hölle holen?
    Ihre Lippen teilten sich, doch sie blieb stumm. Der Schrei steckte wie ein Knebel in ihrem Mund.
    In die Gestalt kam Bewegung. Der Teufel trat einen Schritt auf sie zu.
    Ein unkontrollierbares Zittern lief durch Christianes Leib. Die Angst drückte auf ihre Brust, ihr Herz flatterte, die Übelkeit stieg in ihren Hals, vor ihren Augen begannen goldene Sterne zu tanzen. Der Gedanke, ohnmächtig zu werden, begann ihren Geist in gnädigen Nebel zu hüllen. Ihre Knie drohten einzubrechen ...
    Wieder tropfte heißes Wachs auf ihre Hand. Der Schmerz riss sie aus ihrer Lethargie.
    Und plötzlich löste sich der Knoten in ihrem Hals. Ein gellender Schrei entfuhr ihr. Und noch einer und noch einer – bis ihr Hilferuf von den Mauern widerhallte, den kleinen Johannes weckte und durch das Tor auf die Gasse dröhnte.

37
    Christiane hörte nicht auf zu zittern. Noch am Vormittag des nächsten Tages konnte sie ihre Hände nicht stillhalten. Der im Morgengrauen herbeigerufene Medicus hatte ihr zwar einen kleinen Becher mit Laudanum eingeflößt. Doch die beruhigende Wirkung wollte sich nicht wirklich einstellen. Sie fühlte sich nach dem Trunk zwar schläfrig, fürchtete sich aber zu sehr vor einem neuen Alptraum, um Ruhe zu finden. Außerdem war das Erlebte zu schrecklich, um nur mittels eines Medikaments in Vergessen zu versinken.
    Ihre Schreie hatten die Nachbarn aufgescheucht und den Nachtwächter herbeigerufen. Wenn sie an den Moment zurückdachte, als Hilfe gekommen war, verspürte sie nicht nur Erleichterung. Im Gegenteil. Die Angst, dem Wahnsinn verfallen zu sein oder als Hexe gebrandmarkt zu werden, raubte ihr noch im Nachhinein den Atem. Denn natürlich hatte sich der Teufel aus dem Staub gemacht. Stattdessen bot sich dem Wachmann und den Neugierigen ein groteskes Bild: Eine völlig aufgelöst, gekrümmt auf der Stiege stehende Frau, deren Hände mit Brandblasen übersät waren, im Stockwerk darüber ein greinendes Kind, das nach seiner Mutter rief, die auf dem Totenbett lag. Und Christianes Geschichte trug nicht dazu bei, Vertrauen zu gewinnen.
    »Wenn sich eine Frau den Teufel einbildet, die in ihrer Familie zwei so rasch aufeinanderfolgende Sterbefälle zu beklagen hat wie die Meitingerin, so ist dies kein Hexenwahn, sondern die schmerzliche Folge des Verlusts.« Die Worte des Arztes waren Balsam für Christianes

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