Die Hüterin des Evangeliums
uns in die Gaststube gehen und einen Obstbrand trinken. Der Schnaps wird nicht nur Euren Leib, sondern auch Eure Seele wärmen.«
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, als sie sichvon ihm aus Imhoffs Sterbezimmer führen ließ, einer nach Pferdemist riechenden Kammer neben dem Stall.
Jeder Schritt tat ihr weh, ihr Hüftgelenk sandte schmerzende Boten in ihr Bein, ihr Kreuz trug kaum die Last ihres Oberkörpers. Dennoch fühlte sie sich auf gewisse Weise beschwingt. Sie hatte den halsbrecherischen Ritt trotz allem bemerkenswert gut überstanden, und bis auf ein paar blaue Flecken und ein paar Schürfwunden würde sie bald nichts mehr an den Unfall erinnern.
Ihr Lebensretter, der bärtige Schafhirte, hatte mit seiner Flöte einige Bauern herbeigerufen, die wie durch ein Wunder von den Feldern geeilt waren, während der taubstumme Stallbursche die Flucht nach Augsburg zurück ergriffen hatte. Die Männer hatten die beiden Verletzten daraufhin zur nächsten Siedlung getragen – zur Posthalterei Auerbach.
Christiane hatte den Ort, an dem ihr Gatte gestorben war, anfangs mit überraschendem Gleichmut zur Kenntnis genommen. Damit beschäftigt, die eigenen Wunden zu lecken, war sie nicht einmal des schwerbewaffneten Boten des Reichserbmarschalls gewahr geworden, der das Gasthaus am Rande des Postkurses gestürmt und die Verhaftung des Täufer-Predigers Georg Imhoff verkündet hatte.
Irgendwann später – sie konnte nicht sagen, wie viele Stunden zwischen ihrer Ankunft und dem Eintreffen der anderen lagen – waren Bernhard Ditmold und Wolfgang Delius atemlos und mit staubigen Mänteln in den Innenhof eingeritten. Sie hatte sich freuen wollen, weil die beiden ihr gefolgt waren, doch sie konnte es nicht, weil ihre Seele und ihr Herz zu Eis erstarrt waren.
Zumindest der Assessor war nicht ihretwegen gekommen, sondern um Georg Imhoff zu verhören, doch dieser hatte stur jede Auskunft verweigert und über Ditmolds Fragen gelacht. Selbst die Androhung von Folter hatte ihn nicht geschreckt.Satan war resistent gegen die Heilsordnung Kaiser Karls V., dessen Gesetze er als Täufer ohnehin nicht anerkannte.
Die Gaststube hatte sich mit einer Handvoll Reisender gefüllt, die vor dem Gewitter Zuflucht suchten. Nasse Umhänge dampften in der Wärme des Wirtshauses, wo auf einem offenen Rost fettes Fleisch gebraten und Brotscheiben geröstet wurden. Der scharfe Geruch von Würzbrühe stieg aus einem Kessel auf und erinnerte Christiane daran, dass sie an diesem Tag noch kaum etwas gegessen hatte. Doch sie lehnte Delius’ Angebot freundlich, aber bestimmt ab, ihr einen Imbiss zu bestellen. Stattdessen griff sie beherzt nach dem Becher mit dem Obstbrand, entsann sich kurz des am Nachmittag in Imhoffs Gesellschaft genossenen Weins, presste die Lider zusammen und goss den Inhalt in ihre Kehle.
Der Schnaps schmeckte ihr nicht. Er brannte in ihrem Hals und reizte ihren Magen, Herz und Seele blieben jedoch unberührt von der Wirkung. »Es tut mir leid, dass Zeug hilft mir nicht«, erklärte sie mit leisem Bedauern und stellte den Becher auf den Tisch zurück.
»Schade«, der Verleger musterte sie eindringlich, als suche er einen Fehler in ihrem Äußeren oder ihrem Charakter. »Ich kann diesem Getränk durchaus etwas abgewinnen.«
Christiane entschuldigte sich mit einem zaghaften Lächeln. Dann blickte sie sich um: »Wo ist Herr Ditmold? Ich kann ihn nirgends entdecken.«
»Er ist in der Küche, glaube ich, und debattiert mit dem Koch. Schon bei unserem ersten Aufenthalt hier schmeckte es ihm nicht. Und mein Freund legt großen Wert auf ein vorzügliches Mahl – vor allem an einem Abend wie diesem.«
Ihr fiel ein, dass ihr Ditmolds Genusssucht schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war, und unwillkürlich wurde ihr Lächeln breiter. »Wieso seid Ihr eigentlich hier, wenn esdem Magen des Herrn Assessors nicht bekommt?«, fragte sie spöttisch.
Delius hob die Hand und strich zärtlich eine Locke zurück, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. Sie ließ es geschehen.
»Um Euch zu beschützen, Christiane Meitinger«, erwiderte er sanft. »Eine Wache hätte vermutlich genügt, Imhoff nach Augsburg zu schaffen. Ditmold hatte nicht vor, die Stadt wegen des Teufels zu verlassen. Aber als wir zu Eurem Haus kamen und die Magd sagte, ihr seid mit dem Herrn Dichter vor einer Weile zu einem Ausflug aufgebrochen, wussten wir, was zu tun war. Ich machte mir unendliche Sorgen um Euch.«
»Das ist sehr lieb«, murmelte sie
Weitere Kostenlose Bücher