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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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seinen Humor ebenso wie seine Freude an den kleinen Dingen, die ihr karges Leben bereichert hatten. Wahrscheinlich war es die fehlende Anerkennung als Schriftsteller, redete sie sich ein, die ihn melancholisch werden ließ. Doch warum er deshalb Tag und Nacht arbeitete, dabei ungewohnt geheimnisvoll tat und seine Papiere in eine Kassette einschloss, wenn er das Haus verließ, war mit Schwermut allein nicht zu erklären. War dieser Eifer nicht eigentlich das Gegenteil der vielen Fehlschläge, die ihn in der Vergangenheit getroffen hatten? Gab es etwa einen Auftrag, über den er nicht sprach, weil er seinem Glück noch nicht traute? Hoffnung flammte in Martha auf. Eine Zuversicht, die sie Sebastian alles verzeihen und sich auf die nächste Geburt in vielleicht sechs oder sieben Monaten freuen ließ.
    Sie hätte Sebastian gern in den Arm genommen, konnte sich ihm jedoch nicht mit der gewünschten Zuwendung widmen, weil sie buchstäblich alle Hände damit zu tun hatte, ihren Sohn zu beruhigen. Den kleinen Finger anstelle eines Saugläppchens zwischen die Lippen des Kleinen schiebend, wiederholte sie mit sanfter Stimme und etwas tiefer als zuvor: »Was ist nur in dich gefahren?«
    »Ich habe den Teufel gesehen«, flüsterte Sebastian Rehm. Er nahm die Hände vom Gesicht und schüttelte den Kopf, als könne er es selbst nicht glauben. »Vor dem Fenster stand Satan in einem schwarzen Pelz.«
    »Unsinn«, widersprach Martha, »das bildest du dir ein. Du bist ein erwachsener Mann und benimmst dich, als wärst du nur wenig älter als Johannes. Hast Angst vor dem schwarzen Mann wie ein Kind. Dabei war das bestimmt nur ein Herumtreiber, der sich einen Spaß daraus macht, anständige Bürger des Nachts zu erschrecken.«
    Jenseits der Haustür polterte etwas. Es klang, als würde ein großes Fass die Gasse entlanggerollt.
    Sebastian fuhr zusammen und zitterte. »Hörst du’s? Der Teufel ist gekommen, um mich zu holen ...« Seine Stimme brach ab.
    Als sie ihn geheiratet hatte, war ihr bewusst gewesen, dass sein Verstand phantasiebegabter war als der eines Handwerkers. Ein gelehrter Schriftsteller war eine andere Kategorie Mann. Die Einfälle, die ihn am Anfang ihrer Verbindung geleitet hatten, mochten manchmal verstiegen geklungen haben, aber Martha hatte gerade das an ihm fasziniert. Natürlich hatte sie ihr Oheim Hans Walser, der Stadtbrunnenmeister, vor den Gefahren des Irrsinns gewarnt – man wusste ja um die labile Gesundheit mancher geistreicher Menschen: Hatte nicht sogar Walther von der Vogelweide einst unter Melancholia und Mania gelitten? Nicht Sebastian, flehte Martha im Stillen, nicht mein Mann.
    Sein flackernder Blick wanderte wieder zu den Tintenflecken an der Wand. »Verzeih mir, Martha, aber ich musste mich gegen den Teufel verteidigen.«
    Ihr Magen krampfte sich zusammen. Johannes war eingeschlafen und röchelte leise, aber sie konnte sich nicht über die Ruhe des Kindes in ihren Armen freuen. »Es war niemand am Fenster!«, erklärte sie, und jedes Wort klang wie ein Hilfeschrei.
    Ein leises Lachen entrang sich Sebastians Kehle. »Martin Luther hat auch einmal mit einem Tintenfass nach dem Teufelgeworfen, wusstest du das? Nein, natürlich nicht«, beantwortete er sich seine Frage unverzüglich selbst, »wie solltest du? Katholiken wissen nicht, was damals auf der Wartburg geschah.«
    »Dir ist nicht wohl, mein Liebster, du scheinst mir überarbeitet zu sein. Geh zu Bett.«
    »Die Arbeit«, seine Hand fächerte die eng beschriebenen Bögen auf der Schreibtischplatte auf. »Ich kann die Arbeit nicht liegenlassen ...«
    »Aber morgen ...«
    »Nein!« Plötzlich veränderte sich seine Miene, und Sebastians irrer, verschwommener Blick löste sich auf. Er sah Martha ernst an, die Augen klar wie ehedem. »Es sind nur Schwindel und Kopfschmerzen, keine große Sache. Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe ... Wahrscheinlich war das irgendein Tier in schwarzem Pelz vor dem Fenster. Oder herumstreunendes Gesindel, ganz wie du gesagt hast. Nichts als Einbildung.« Ohne ein weiteres Wort über seine Wahrnehmung zu verlieren, erhob er sich und bückte sich nach dem Tongefäß mit der ausgelaufenen Tinte.
    Martha sah ihm schweigend zu. Sie befürchtete, der seit Tagen anhaltende Drehwurm könnte ihm vom Kopf in die Beine fahren und ihn niederstrecken, sobald er eine falsche Bewegung machte, doch sie hielt ihn von seinem Vorhaben nicht ab. Tu so, als sei alles in Ordnung, flüsterte ihr eine innere Stimme zu. Doch sie

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