Die Huette
bedroht, das also, was ich zu verdienen glaube. Aber ich bin mir nicht wirklich sicher, ob ich eine logische Grundlage habe, zu entscheiden, was wirklich gut oder böse ist. Ich kann nur beurteilen, wie es sich auf mich auswirkt.« Er hielt bei der anstrengenden Arbeit einen Moment inne, um zu Atem zu kommen. »Das ist also alles ziemlich egoistisch und selbstbezogen, nehme ich an. Und meine persönliche Fallgeschichte ist da nicht sehr ermutigend. Manche Dinge, die ich anfangs für gut hielt, erwiesen sich später als furchtbar zerstörerisch, und manche Dinge, die ich für böse hielt, nun, bei denen stellte sich heraus, dass ... «
Er zögerte, ehe er den Gedanken beendete, doch Sarayu unterbrach ihn. »Dann bist du es, der entscheidet, was gut und was böse ist. Du machst dich zum Richter. Und, was das Ganze noch verwirrender macht: Das, was du für gut hältst, wird sich mit der Zeit und den Umständen verändern. Und, was noch schlimmer ist: Darüber hinaus gibt es Milliarden andere Menschen, die ebenfalls individuell entscheiden, was für sie gut oder böse ist. Wenn also dein Gut und Böse nicht mit den Vorstellungen deines Nachbarn übereinstimmt, geratet ihr in Streit oder es brechen gar Kriege deswegen aus.«
Die sich bewegenden Farben Sarayus wurden dunkler, während sie sprach. Schwarz- und Grautöne mischten sich unter die Regenbogenfarben und verdüsterten sie. »Und wenn es keine absolute Realität des Guten gibt, dann habt ihr jede Basis für euer Urteil verloren. Dann ist alles nur eine Frage der Wortwahl, und dann kann man das Wort >gut< leicht mit dem Wort >böse< vertauschen.«
»Ich kann nachvollziehen, inwiefern das ein Problem sein könnte«, pflichtete Mack ihr bei.
»Ein Problem?« Sarayu schrie ihn beinahe an, als sie aufstand und ihm in die Augen schaute. Sie war erregt, aber er spürte, dass dies nicht ihm persönlich galt. »Allerdings! Die Entscheidung, von diesem Baum zu essen, hat das ganze Universum in zwei Teile gespalten und die spirituelle Form von der physischen getrennt. Sie starben, und mit dem Atem ihrer Entscheidung vertrieben sie den Atem Gottes. Dass das ein Problem ist, kann man wohl sagen!«
Mit der Heftigkeit ihrer Worte war Sarayu ein Stück in die Höhe geschwebt, doch jetzt sank sie wieder auf den Boden zurück und sagte ruhig, aber mit Nachdruck: »Das war ein Tag großer Sorge.«
Für etwa zehn Minuten arbeiteten sie schweigend weiter. Während Mack damit fortfuhr, Wurzeln auszugraben und auf den Haufen zu werfen, arbeitete sein Verstand auf Hochtouren, um die Implikationen dessen zu entwirren, was Sarayu gesagt hatte.
Dann gestand Mack: »Ich erkenne jetzt, dass ich den größten Teil meiner Zeit und Energie darauf verwendet habe, das zu erlangen, was ich für gut hielt, sei es finanzielle Sicherheit oder Gesundheit oder eine ausreichende Altersversorgung oder was auch immer. Und ich vergeude eine riesige Menge Energie und Sorge damit, mich vor dem zu fürchten, was ich für böse halte.« Er seufzte tief.
»Wie wahr«, sagte Sarayu sanft. »Denke daran, dass diese Geisteshaltung es dir ermöglicht, in deiner Unabhängigkeit Gott zu spielen. Deswegen zieht es ein Teil von dir vor, mich nicht zu sehen. Und um deine Liste von Gut und Böse aufzustellen, brauchst du mich überhaupt nicht. Aber du brauchst mich, wenn du diese verrückte Gier nach Unabhängigkeit überwinden willst, denn das wird dir nur mit mir gelingen.«
»Es gibt also einen Weg, sie zu überwinden?«, fragte Mack.
»Nur wenn du nicht länger auf deinem Recht bestehst, Gut und Böse selbst zu definieren. Das zu schlucken ist wirklich ein harter Brocken. Du musst dich entscheiden, ganz und ausschließlich in mir zu leben. Das kannst du nur, wenn du mich gut genug kennst, um mir zu vertrauen und zu lernen, in meiner grenzenlosen Güte zu ruhen.«
Sarayus fließende Gestalt drehte sich zu Mack um. Jedenfalls sah es für ihn so aus. »Mackenzie, >böse< ist ein Wort, das wir verwenden, um die Abwesenheit des Guten zu beschreiben, so wie wir das Wort >Dunkelheit< benutzen, um die Abwesenheit des Lichtes zu beschreiben, oder >Tod<, um die Abwesenheit des Lebens zu beschreiben. Sowohl das Böse wie auch die Dunkelheit kann man nur in Relation zu dem Licht und dem Guten begreifen. Sie besitzen keine wirkliche Existenz. Ich bin Licht, und ich bin gut. Ich bin Liebe, und in mir gibt es keine Dunkelheit. Das Licht und das Gute existieren wirklich. Wenn du dich also vor mir verschließt, stürzt du
Weitere Kostenlose Bücher