Die Hure Babylon
Mann zu sein.
Ermengardas morgendliche Übelkeit hatte sich gelegt. Langsam konnte selbst Arnaut die leichte Wölbung ihres Leibes erkennen, ihre Brüste wurden voller und ihr Gemüt weicher. Und doch machte er sich Sorgen um sie, denn sie war blasser als gewöhnlich, ermüdete schnell und klagte gelegentlich über Leibschmerzen. Er überredete sie, sich zu schonen und auf ihre Jagdausritte zu verzichten. Nicht auszudenken, wenn sie das Kind erneut verlöre.
Und dann, gegen Ende des Monats, es war kurz nach Maria Annuntiata, dem Tag der Verkündigung, da tauchte eine bunte, fremdländisch anmutende Reitertruppe vor den Toren der Stadt auf und errichtete auf weitem Feld ihre Zelte.
Als ihr Anführer bei Ermengarda um Audienz bat, stellte er sich als Josselin de Puylaurens vor, Ritter und Gesandter der Königin Melisende von Jerusalem.
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Narbona war seit jeher eine Hafenstadt und lag zudem am Kreuzweg zwischen den Handelsstraßen entlang der Küste und denen, die ins Landesinnere führen. Ohne Unterlass kamen und gingen Pilger, Seeleute, Händler, Edelleute oder Söldnertrupps. Man war hier an Fremde gewöhnt, doch nie zuvor hatte man eine Gesandtschaft der Königin von Jerusalem begrüßen dürfen. Entsprechend war die Aufregung.
Diesen Josselin de Puylaurens hätte man leicht für einen gewandten Höfling halten können, so strahlend war sein zuvorkommendes Lächeln, so makellos sein Gewand, so vollendet seine Umgangsformen, wären da nicht die breiten Schultern, die harten Muskeln und die hässliche Narbe auf seiner bärtigen Wange gewesen. Dies ließ eher auf einen erfahrenen Krieger schließen. Er war ein Mann in mittleren Jahren, von beeindruckender Statur, mit einer blonden Löwenmähne, die ihm bis auf die Schultern fiel, und der fleckigen Haut eines Hellhäutigen, der zu viele Jahre in der Wüstensonne verbracht hatte.
Er stellte seine beiden Begleiter vor, Hugues de Bouillon und Étienne de Bernay, Mönchsritter aus dem Orden der Templer. Auch sie sahen wie Männer aus, mit denen man sich besser nicht streiten sollte. Sie trugen lange Schwerter an der Seite und Kettenpanzer unter den weißen
sobrecots,
die sonnenverbrannten Gesichter wie aus Granit gemeißelt.
»Es ist nicht alle Tage, dass wir so hohen Besuch haben«, sagte Ermengarda, nachdem die Gäste mit Wein versorgt waren. »Was führt Euch zu uns?«
»Midomna Vescomtessa«,
erwiderte Josselin. »Wir sind im Auftrag unserer Königin unterwegs, um bei den Fürsten des Landes für die gute Sache im Heiligen Land zu werben. Wir waren in Barcelona, in Elna und sind nun hier. Wir haben vor, Tolosa, Albi und noch viele andere Höfe zu besuchen und uns später dem Zug des guten König Louis anzuschließen.«
Ermengarda hob ihren Kelch. »Wir werden gewiss nicht abgeneigt sein, Euch eine Summe zu stiften.«
Als Puylaurens ebenfalls seinen Kelch zur Hand nahm, bemerkte Arnaut, dass ihm zwei Glieder am kleinen Finger der linken Hand fehlten und am Ringfinger die Kuppe. Zweifellos ein Schwerthieb.
»Verzeiht,
Midomna
«, hörte er ihn sagen. »Uns mangelt es weniger an Geld als an Männern, die bereit sind, gegen die Sarazenen zu kämpfen.«
Ermengarda runzelte kurz die Stirn, ging aber nicht weiter auf diese Worte ein. Stattdessen bemühte sie sich um ein freundliches Lächeln und schlug den fremden Rittern vor, während ihres Aufenthaltes im Palast zu wohnen.
»Wir bedanken uns für diese Ehre,
Vescomtessa
«, sagte Josselin und ließ seine weißen Zähne aufblitzen, »aber wir ziehen es vor, bei unseren Männern zu nächtigen. Mein Zelt ist eine durchaus bequeme Herberge, wie Ihr Euch gern mit eigenen Augen versichern könnt.«
»Dann zähle ich auf Eure Gegenwart beim Nachtmahl. Sonst hätten wir unseren guten Ruf als Gastgeber zu verlieren.«
Die drei verbeugten sich, und Arnaut erbot sich, teils aus Höflichkeit, teils aus Neugierde, sie zu ihrem Lager zu begleiten. Die Zelte hatten sie am Südufer der Aude aufgeschlagen, nahe der Wehrmauer von lo Borc, dem gegenüberliegenden Stadtteil.
Verstohlen beobachtete Arnaut die beiden Tempelritter. Um den streitbaren Orden rankten Legenden. Hugues de Bouillon schien der Ältere und Anführer zu sein. Freundliche Augen milderten seine kantigen Gesichtszüge, wohingegen der andere etwas Abweisendes, Verschlossenes hatte. Beide sprachen wenig. Josselin de Puylaurens dagegen schwatzte ungehemmt drauflos, hatte für alles, was er sah, eine Bemerkung übrig.
»Steht es so schlimm um Outremer?«,
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