Die Hure Babylon
fragte Arnaut.
»Edessa ging verloren, wie Ihr wisst. Damit liegt auch Antiochia ungeschützt. Und dieser Nur ad-Din ist gefährlich.«
»Nur ad-Din?« Arnaut hörte den Namen zum ersten Mal.
»Der Emir von Aleppo. Noch jung, aber ein gewitzter Kriegsherr. Er versucht, die Ungläubigen unter seinem Banner zu vereinen. Man muss hoffen, dass es ihm nicht gelingt. Er war es auch, der alle Christen in Edessa umgebracht hat.«
»Ist es denn wahr, sie wurden alle ermordet?«
»Armenier, lateinische Christen, Orthodoxe, Männer, Frauen und Kinder. Die große Mehrzahl der Bewohner. Er traute ihnen nicht. Und mit Recht, denn natürlich hätten sie uns bei der ersten Gelegenheit wieder die Tore geöffnet.«
»Hatte die Königin nicht ein Entsatzheer geschickt?«
Josselin nickte. »Wir sind leider kläglich gescheitert. Der Fürst von Antiochia war mehr mit seinen Eroberungen in Cilicia beschäftigt, anstatt uns zu helfen. Auch wir Latiner sind leider zu oft von Uneinigkeit geplagt. Aber das Schlimmste ist, dass es uns überall in Outremer an kampffähigen Männern fehlt, während es den Sarazenen gelingt, immer neue Heere aus dem Boden zu stampfen.«
Die meisten Bewohner Edessas waren armenische Christen gewesen, wie Arnauts Großmutter Noura. Sie hatten vor fünfzig Jahren die lateinischen Ritter mit offenen Armen empfangen, weil sie sich vor den Seldschuken fürchteten, die immer weiter nach Westen vorgedrungen waren. Aber wie hatten die Türken nur sämtliche Bewohner einer Stadt meucheln können? Bei dem Gedanken lief es Arnaut kalt über den Rücken. Knöcheltief musste das Blut in den Gassen gestanden haben.
Sie waren im Lager angekommen, und Arnaut schaute sich um. Josselins bewaffnete Begleitung zählte gut zwei Dutzend Mann, die Hälfte davon Tempelritter und ihre
sergents d’armes,
die nichtadeligen Krieger des Ordens. Die Übrigen trugen leichte, spitze Helme und kurze Tuniken. Turkopolen, erklärte Josselin, Söhne aus gemischten, christlich-türkischen Familien, die in Outremer als Hilfstruppen und berittene Bogenschützen dienten. Allesamt ausgezeichnet bewaffnet, bemerkte Arnaut. Dazu Knechte und Diener, ja sogar Frauen in weiten, dunklen Umhängen, die sich an einer Feuerstelle zu schaffen machten, seinen Blick aber mieden.
Besonders stachen ihm die Pferde ins Auge, eines edler als das andere. Arnaut wusste Araberblut wohl zu schätzen. Sie waren etwas kleiner als die heimischen Pferde, aber schnell und ausdauernd. Wie sie stolz die Hälse bogen, die Nüstern blähten und die feinen Köpfe mit den langen Mähnen hochwarfen. Die schönsten Geschöpfe unter Gottes Himmel. Wer konnte ihnen widerstehen?
»Ich sehe, Ihr wisst gutes Pferdefleisch zu schätzen«, lachte Josselin, dem Arnauts bewundernde Blicke nicht entgangen waren.
Sie standen vor einem riesigen, braunen Zelt, in der Mitte erhöht, mit Seitenwänden, fast wie ein Haus. Die Stoffbahnen in unterschiedlichen Größen und Schattierungen wirkten verblichen und zusammengeflickt.
Josselin bat ihn einzutreten.
»Ein Beduinenzelt«, erklärte er. »Macht von außen nicht viel her, ist aber innen sehr bequem.«
Das Zelt war breit und geräumig. Die Decke weit über Mannshöhe. Ein großer Hauptraum, dahinter ein abgetrennter Bereich, vermutlich zum Schlafen. Arnaut fand alles erstaunlich wohnlich, der Boden mit weichen, farbigen Teppichen ausgelegt, in ähnlicher Webart wie der in Großvaters Turmkammer. Bunte Seidenkissen auf Feldstühlen, ein klappbarer Reisetisch, auf dem ein Weinschlauch neben achtlos hingeworfenen Dokumenten lag. Satteltaschen in einer Ecke, bronzebeschlagene Koffer und Josselins Waffen und Rüstung auf einem eigens dafür geschaffenen, hölzernen Stand.
Bevor sie eingetreten waren, hatte Arnaut Frauenstimmen in einer fremden Sprache vernommen. Nun waren sie verstummt, doch im Hintergrund gewahrte er einen Schatten. Mandelförmige Augen unter kohlschwarzen Brauen musterten ihn einen Augenblick lang neugierig. Dann verschwand die Gestalt hinter einem Vorhang.
»Es tut mir leid«, stammelte er verlegen. »Eure Gemahlin. Ich will nicht stören.«
Josselin zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Nur eine Sklavin«, sagte er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, mit Sklavinnen zu reisen.
Dann bestand er darauf, Arnaut die Bauweise des Zeltes zu erläutern. »Die Planen sind aus Ziegenhaar gewebt. Das ist unverwüstlich.« Er deutete auf Öffnungen unter den hölzernen Stützen. »Die lassen Luft zur Kühlung
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