Die Hure Babylon
schrecklicher Fluch, wenn es stimmte. War es Gottes Strafe, wie Arnaut behauptete? Aber was war das für ein Gott, der etwas gegen Kinder der Liebe haben sollte? Außerdem ist die Welt doch voller Bastarde, die sich bester Gesundheit erfreuen. Ach, Arnaut, warum bist du nur so verbohrt?
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»Aus dem Weg, gute Frau«, hörte ich hinter mir eine rauhe Stimme keuchen, und eine Hand schob mich unsanft zur Seite. Ich trat zurück und ließ einen Arbeiter an mir vorbei, der ein schweres Fass auf der Schulter trug.
Es war ein Gedränge in der dunklen Gasse, und es stank nach Pferdekot und Pisse. Handwerker, Marktfrauen, Bürgerinnen, alles strömte der
caularia
zu, dem großen Marktplatz vor dem Palast, wo der Prediger heute reden sollte. Ich fragte mich, ob ich noch recht bei Trost war, mich unerkannt unters Volk zu mischen.
Nachdem mir Raimon weiteres über den Mann berichtet hatte, war ich noch viel neugieriger geworden und wollte nun selbst hören, was er zu sagen hatte. Und so hatte ich mich zu Raimons Entsetzen als einfache Magd verkleidet und aus einem Hinterausgang des Palastes geschlichen. Ich warf mir einen langen Umhang über Kopf und Schultern, aus dem nur meine Nasenspitze hervorschaute. Bei der Kälte der Jahreszeit sah ich nicht anders aus als die meisten Frauen.
Die Menge schob mich auf den Marktplatz. Hier war es heller, man konnte freier atmen. Ich drängelte mich vor und sah ihn schon bald aus der Nähe, diesen Henri de Lausanne. Er redete gerade mit einer Gruppe Frauen, die darauf bestanden, sich von ihm segnen zu lassen.
Der Mann sah aus, wie Raimon ihn beschrieben hatte. Ein hochgewachsener, erschreckend hagerer Kerl mit verfilztem Bart und Haar. Am Leib trug er nichts als eine grobe Mönchskutte, geflickt und dreckig. Angeblich lebte er von Almosen, schlief auf dem nackten Boden und lief selbst im Winter barfuß herum. Alles in allem eine erbärmliche Gestalt, auf die man die Hunde gehetzt hätte, wäre da nicht die klangvolle Stimme, die klugen grauen Augen und sein freundliches Lächeln gewesen. Und natürlich sein Ruf und seine Beliebtheit beim einfachen Volk.
Er war weit herumgekommen. Ob er wirklich aus Lausanne stammte, konnte niemand sagen. Jedenfalls war er ein
petrobrusianus.
So nannten die Geistlichen die Schüler jenes Peire de Bruis, der vor seinem Tod vor siebzehn Jahren im ganzen Süden Ketzerlehren verbreitet hatte. Auch hier in Narbona gab es viele Anhänger. Nach ihm hatten auch andere Prediger in seinem Sinne gewirkt, aber keiner so überzeugend wie dieser Henri, so versicherte mir Raimon.
Inzwischen waren die Umstehenden ungeduldig geworden. Sie wollten ihn endlich hören.
»Liebe Brüder und Schwestern in Christus«, begann er mit ruhiger Stimme. »Gestern sprachen wir vom Opfer, das Jesus gebracht hat. Und darüber, was dies für jeden von uns bedeutet.«
Sie lauschten aufmerksam, fast begierig. Einfache Bürger beiderlei Geschlechts, Handwerker, Fischer, Seeleute. Seine Stimme trug über den ganzen Platz.
»Heute aber wollen wir darüber reden, was aus seinem Opfer geworden ist.«
Er sah einen Augenblick zu Boden, als würde er sich sammeln, dann blickte er den Menschen um ihn herum in die Augen. »Gestorben ist ein einfacher Mann, der die Liebe predigte, der nichts besaß, der barfuß wandelte, den kein Ehrgeiz trieb. Und doch konnte er, und kann es noch immer, unsere Herzen rühren und Wunder vollbringen.«
»Amen«, murmelten viele und bekreuzigten sich.
»Aber was haben sie daraus gemacht«, rief er nun lauter. »Anstatt seinem Beispiel zu folgen, haben sie auf seinem Grab ein gewaltiges Gebäude des Pomps und des Ehrgeizes errichtet. Es ist die Kirche Roms, mit der sie die ganze Welt beherrschen wollen. Aber wer sind denn diese Priester, die sich über uns erheben? Ich sage euch, hört nicht auf sie, denn sie sind nicht von Jesus gesandt. Sie sind nichts als die Hunde Roms, euch zu knechten und zu schröpfen. Den Bischöfen und Kardinälen in ihren purpurnen Gewändern geht es nicht um euch. Ihnen geht es nur um Geld, um ihre Pfründe und um Macht. Selbst mit Königen und Prinzen ringen sie, um auch über sie zu herrschen. Das hat nichts mehr mit einem Christus zu tun, der die Geldwechsler aus dem Tempel verbannte.«
Ein beifälliges Raunen ging durch die Menge. Solche Worte kamen bei den einfachen Leuten an. Aber aus den hinteren Reihen ließen sich auch Zischen und vereinzelte Schmährufe vernehmen.
»Braucht ein Mensch überhaupt einen Priester, um mit
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