Die Hure: Roman (German Edition)
Werkstatt näht Aphrodite mit den anderen Frauen Schürzen. Die Scheren werden kontrolliert, nur die zuverlässigsten Gefangenen dürfen sie benutzen. Aphrodite hat nie zuvor eine Nähmaschine gesehen.
»Du bist neu hier«, stellt die Frau fest, die sich neben sie setzt. »Ich heiße Louise.«
Aphrodite gibt Louise die Hand.
»Ich sitze wegen Mord.«
»Ich hab auch alles Mögliche getan«, murmelt Aphrodite.
»Ach ja?«
»Ein Typ ist mir blöd gekommen …«
Louise lächelt verständnisvoll. Sie sagt, wenn Frauen sich aufraffen, das Gesetz zu brechen, tun sie es mit vollem Einsatz. »Die meisten hier sitzen für schwere Verbrechen.«
Verstohlen zeigt sie auf einige Mitgefangene und erzählt Aphrodite von ihnen. Dort am Fenster raucht Medea, eine vierfache Mörderin. Das da ist Frau Macbeth, Anstiftung und Beihilfe zum Mord. Ilsa, eine Kriegsverbrecherin, lange Haftstrafe. Louhi, wiederholter Betrug. Anna-Liisa, Kindsmord. Kate Austen und Klytämnestra sind Freundinnen, bei beiden Mord mit familiärem Hintergrund. Und natürlich Eva, verurteilt für das erste Verbrechen.
»Denen kommst du besser nicht in die Quere. Sie sind unberechenbar.«
Aphrodite wird hospitalisiert. Das gefällt ihr. Die Medikamente werden zu einer festen Zeit ausgegeben, Essen gibt es zu festen Zeiten, man wäscht sich zur festgesetzten Zeit. Die Türen braucht man nicht selbst zu öffnen, man wartet einfach, bis jemand aufschließt.
Die Depression lässt nach. Entweder liegt es an der Routine oder an den Stimmungsaufhellern.
Eines Tages wird das kleine, bescheidene Gefängnistor geöffnet, und eine junge Frau kommt herein, die als Erstes auf den Boden spuckt und dann sagt, Scheiße, leckt mich am Arsch. Einige haben sie schon in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen. Aphrodite kennt sie persönlich. Es ist Athene.
»Wo zum Teufel ist mein Stoff?«, fragt Athene. Dann bezeichnet sie die Frau, die ihr am nächsten sitzt, als fettes, frigides Miststück.
Aphrodite bemüht sich, Athene nicht unter die Augen zu kommen. In ihrer Vergangenheit gab es ungelöste Konflikte. Außerdem ist Athene eine ätzende Schlampe. Und ätzend jung.
Athene zieht im Gefängnis eine permanente Show ab. Schon am Morgen nach ihrer Ankunft tauchen Fernsehkameras und Pressefotografen auf. Dem Gefängnisdirektor wird der Vorschlag unterbreitet, eine Reality-TV-Show über das Gefängnis zu produzieren, was sich auch auf das Gehalt des Direktors auswirken würde. Und selbstverständlich werde man einen Teil des Profits für die armen Insassinnen spenden. Da der Direktor es ganz nett fände, wenn in allen Zellen ordentliche Toiletten eingebaut würden, stimmt er zu.
Also wird das Leben der Gefangenen rund um die Uhr gefilmt, für den Fall, dass etwas Dramatisches passiert. Das kommt selten vor. Zum Glück will man in der Serie hauptsächlich zeigen, was für lustige und provokante Dinge Athene im Gefängnis macht. Sie klaut zum Beispiel jemandem die Telefonkarte, um am öffentlichen Apparat Störanrufe zu tätigen, oder beschimpft Mithäftlinge als fette Arschgesichter und dumme Lesben oder schneidert sich die Gefängniskleidung knapper und hübscher zurecht.
Aphrodite will keine Öffentlichkeit. In letzter Zeit hat sie ein wenig nachgedacht. Sie hat eine Detox-Kur angefangen. Morgens meditiert sie, mittags macht sie Yoga, und abends trinkt sie grünen Tee. Sie glaubt, seelischen Frieden gefunden zu haben.
Außerdem ist sie immer noch sauer auf die Medien.
Zufällig kommt sie jedoch gerade in dem Moment dazu, als das Filmteam dokumentiert, wie Athene eine Lebenslängliche quält, indem sie die Hand hebt, als wolle sie zuschlagen, wieder und wieder. Jedes Mal erschrickt die Frau. Athene kichert und schlägt gelegentlich tatsächlich zu. Die Frau geht nicht weg, weil sie furchtbar gern ins Fernsehen möchte.
»Hör auf, du hinterfotzige Spermabank!«, sagt Aphrodite, dabei hatte sie geglaubt, das Detox würde diese Art von Wortschatz tilgen.
Der Kameramann richtet die Linse auf die Hinzugekommene. Es scheint, als strahle diese Frau ein überirdisches Licht aus. Das kann allerdings auch durch Wintersonne verursacht sein, die durch die Fenster scheint. Der Produzent blickt von seinen Notizen auf und starrt die Erscheinung an wie einen himmlischen Engel.
»He, ist das nicht die … wer war sie noch gleich?«, fragt der Kameramann den Produzenten.
»Ja. Dreh weiter.«
Am nächsten Tag bringt die Zeitung eine Riesenschlagzeile: Venus neu geboren: jetzt im
Weitere Kostenlose Bücher