Die Hure: Roman (German Edition)
FRAUENGEFÄNGNIS !!
Auf der Titelseite prangt ein ziemlich gutes Bild von Aphrodite. Obwohl sie kaum geschminkt ist, wirkt sie irgendwie hübsch. Außerdem hat sie abgenommen, denn das Gefängnisessen schmeckt so schlecht, dass man es nicht jeden Tag ertragen kann: Aphrodite hält sich an das Prinzip, niemals schlechtes Essen zu sich zu nehmen und nie hässliche Kleider zu tragen.
»He, hallo, Scheiße!«, ruft Athene. Doch die Produktionsfirma schenkt ihr keine Beachtung mehr. Man hat über Athene bereits Filme produziert, als sie sich andernorts danebenbenommen hat, zum Beispiel auf einem Bauernhof, in einer Gastfamilie, im Büro und auf einer Reise. Offen gestanden interessieren ihre Streiche die Zuschauer nicht mehr allzu sehr. »Du bist so was von schon gesehen«, sagt der Produzent zu ihr.
Ganz anders wirkt dagegen eine tot geglaubte Unterhaltungskünstlerin vor den Kameras, lebendig im Gefängnis entdeckt. Und so strahlend schön. Geld, Ruhm, nun ja … Der Produzent konzentriert sich darauf, Aphrodite auf dem Bildschirm zu betrachten. Live. Im Schneideraum. Abends zu Hause.
Die Maskenbildner zaubern Aphrodite jeden Morgen ein fantastisches Make-up, und sie bekommt neue Kleider, die abgetragen aussehen, aber frisch von der Stange sind. Sie sitzen sehr eng. Aphrodite weiß nun wieder, wie es ist, sie selbst zu sein: Herrlich!!
Die Kameras laufen, während sie ein paar Schürzen näht, die ein bisschen schief ausfallen, weil sie die ganze Zeit mit der Kamera flirtet. Aber das schadet nichts, es handelt sich ja nicht um eine Handarbeitssendung. Die Kameras laufen, während sie in verführerischen Positionen ihre Meinung über alles zwischen Himmel und Erde äußert oder Mithäftlinge interviewt.
Sie fragt »Riitta«, was ihr Leben aus der Bahn geworfen hat. »Riitta« erzählt von ihrer Beziehung zu einem gewalttätigen Alkoholiker. »Er hat mich an den Haaren gepackt und meinen Kopf immer wieder auf den Boden geschlagen. Deshalb hab ich mir die Haare so kurz geschnitten.« Aphrodite lächelt mitfühlend. Sie ist so schön, wenn sie lächelt. Die Kameras lieben sie.
Athene wird nicht mehr an die Filmcrew herangelassen. Abends weint sie in ihrer Zelle, bis ihre Stubengenossin droht, ihre Haare anzuzünden, wenn sie nicht sofort aufhört. Athene hat sich in ihrem ganzen Leben nichts anderes gewünscht als ein bisschen Aufmerksamkeit. Ihr zurückgezogenes Leben wird als gutes Verhalten gedeutet. Die Behörden sind davon so beeindruckt, dass sie schon nach Verbüßung der halben Strafe entlassen wird.
Dazu hat eventuell auch die Tatsache beigetragen, dass ihr Vater eine sehr einflussreiche Persönlichkeit ist.
»Nun ist’s genug«, faucht Athene Aphrodite an, als sie ihren persönlichen Besitz in eine Plastiktüte packt. »Ich gehe auf die Universität.«
Durch das vergitterte Fenster sieht Aphrodite, wie Athene über den Hof geht, durch das Tor tritt und in ein teures Auto mit Chauffeur steigt. Athene sieht glücklich aus, nicht nur schadenfroh.
Die Fernsehserie mit Aphrodite als Star ist ein Erfolg. Nur der Gefängnisdirektor ist unzufrieden. Um das Ansehen der Anstalt in der Öffentlichkeit zu heben, hat er für die Gefangenen Gruppentherapie und Aggressionskontrollkurse und morgendliches Qigong eingeführt, doch all das kommt in der Serie überhaupt nicht zur Sprache. Die Episoden konzentrieren sich in letzter Zeit fast nur noch darauf, die Gefangenen zu schminken und schick zu frisieren. Aphrodite ist der Meinung, dass alle Häftlinge Schönheit verdienen. Schönheit zieht Liebe an und umgekehrt.
In Wahrheit wurden die neuen inhaltlichen Schwerpunkte gesetzt, weil die Zuschauer es als bedrückend empfanden, dass die Häftlinge offen über ihr Leben sprachen. In den Leserbriefen hieß es, wieder würden die Männer schlechtgemacht, da fast jede Insassin davon erzählte, wie ihr Vater oder ihr Freund oder ihr Ehemann oder ein Dealer oder ein Unbekannter sie irgendwann einmal geschlagen oder vergewaltigt oder beides gleichzeitig getan hatte. Warum man nicht in ein Männergefängnis gehe und dort frage, wie viele Frauen den Männern übel mitgespielt hätten? Niemand antwortete, na darum, aber eine Schriftstellerin sagte im Fernsehen, dass die finnischen Männer gewalttätig SIND . Die finnischen Männer wurden wütend und bewiesen die Haltlosigkeit dieser Behauptung, indem sie der Autorin Morddrohungen schickten.
Man beschloss jedenfalls, dass die weiblichen Gefangenen nicht so wahnsinnig detailliert
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