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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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große Räder zwar weniger Zugkraft erforderten, aber auf
weichem Boden auch leichter einsanken, sondern auch, weil vor uns ein
Artilleriezug dahinrumpelte. Die Pulverwagen mit den gelben Planen, die der
Regen dunkel färbte, blieben oft stecken. Der Hebekran hatte einen Radbruch.
Die Ersatzräder, die man brachte, passten nicht und es mussten die Stellmacher
kommen. Die Dragoner, die neben der Kriegskasse ritten, verfluchten ihre
Lederjacken, die bei leichtem Regen zwar Schutz boten, sich bei Dauerregen aber
wie die Schwämme vollsogen. Dann hatten wir uns auch noch verfahren. Wo die
Havel in die Elbe mündet, machten wir halt.
    Was für ein
Ort! Böhmen liegt nicht am Meer! Ich hatte noch nie so viel Wasser gesehen!
    Ich hatte
unterwegs Zeit gehabt, über mich und die Welt nachzudenken. Über diese Bewegung
in mir, die ich nicht wollte. Über Una, der ich es gesagt hatte, die in den
letzten Wochen auch bereit gewesen war, nach dem Krieg mit mir nach Mähren zu
gehen. Es hatte durchaus schon Druckerinnen gegeben bei uns: Anna Šumanová,
Alžběta Nigrinová, Alžběta Kargesiová oder, in der Gegenwart, jene
Judita Bylinová, der nun die Melantrich-Druckerei in Prag gehörte. »Du druckst
und machst die Geschäfte, ich koche und mache den Haushalt.«
    Sie machte
den Haushalt. In Zukunft, na klar. Jetzt, in der Gegenwart, war sie nicht mal
bereit, mir das Kind wegzumachen.
    »Es ist zu spät, Sorka. Du
kannst draufgehn dabei.«
    »Du hast gesagt, ich werde
nicht schwanger.« Antje und Suse gingen nachher dazwischen. Ich solle nicht so
tun, als hätte mir Una das Kind gemacht, und Una solle die Klappe halten.
Jedenfalls bewegte es sich nun in mir und mich bewegte der Anblick des Wassers
und außerdem wollte ich keine Bewegungen mehr.
    Ich weiß,
dass ich Antjes Rufen noch hörte. Dass ich lieber mithelfen solle, es sei noch
so viel abzuladen und sie kriegten bei der Nässe das Feuer nicht an. Ich weiß
noch, dass Suse sagte: »Lass sie in Ruhe!«, dass mir einer an die Brust
grapschte, während ich mich zwischen Wagen, Pferden und Lafetten hindurchwand,
dass es wunderschön aussah, dieses Wasser, ganz besonders vorn, auf der
Landzunge. Links floss die Elbe, rechts floss die Havel. Nur war das Fließen
nicht mehr zu sehen, denn es war Frühjahrshochwasser. Es sah aus wie ein von
zwei breiten Zuflüssen gespeister riesiger See. Links, zwischen tief hängenden
dunklen Wolken, deren unterster Rand die Kronen einer im Wasser stehenden
Baumgruppe zu berühren schien, leuchteten am Himmel zwei heilere Stellen.
Rechts erkannte man in der Ferne hinter Bäumen ein Dorf. Vor mir war Wasser.
Dort ging’s nicht mehr weiter.
    Das sollte es auch nicht.
    Ich tat einen
Schritt. Gleich würde es vorbei sein mit Kind und Krieg und Hurenzelt und
Kanonen. Nie mehr brauchte ich zu helfen beim Festhalten eines Verletzten, dem
der Wundarzt mit der Zange einen Daumen abkniff. Nie mehr brauchte ich die
Prahlereien der Fouragiere zu hören, wie es ihnen, die sie darin Erfahrung
hatten, auch im fünfzehnten Kriegsjahr noch gelang, Essbares für das Heer
aufzutreiben. Welch wirksamer Methoden sie sich dabei bedienten. Sodass die
Bauern dann doch lieber ein verstecktes Schwein loswerden wollten als auch noch
ihr zweites Bein, nachdem sie durch das Knie des ersten geschossen und es dem
Brüllenden abgedreht hatten.
    Das Wasser
war kalt. Ich ging weiter. Die Kälte stach in die Beine wie mit tausend Nadeln,
aber auch, als der Schüler Kubik recht bekam gegen unseren armen Lehrer
Poliačik, als meine Freundin Eliška nicht mehr meine Freundin sein wollte,
weil ihre Familie katholisch wurde, auch als es in Pirna hieß: »Ihr seid hier
nicht in Böhmen«, waren es Stiche gewesen, die ich aushalten konnte. Als die
Mutter mich kurz vor ihrem Tod ratlos ansah, weil sie sich die Ablehnung der
anderen nicht erklären konnte, warum sie gemieden wurde, warum man ihre
Begleitung nicht wollte, als sie mich unsicher ansah, mich fragte: »Ich bin
doch nicht schlecht, Sorka? Ich bin doch nicht schlecht« – das schmerzte mich
damals viel mehr als die Kälte des Wassers. Juras Abschied. Der Fußmarsch nach
Quedlinburg. Die Schweden, die also keine Kompanie waren. »Eine Kompanie sind hundertfünfzig
Mann«, sagte Una. »Davon hat dich noch nicht mal ein Fünftel gehabt.«
    Also bloß
zwanzig. Na, dann war es ja gut. Dem restlichen Heer würde ich künftig
entgehen.
    Ich watete
weiter. Übrigens bewegte sich das Kind gar nicht mehr. Aber ich kam nur

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