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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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nachts
kochen, nicht. Deshalb musst du auch ganz still sein, ja? Auch später, damit
uns niemand hört. Hier ist es nämlich für uns gut. Hier gibt es sogar etwas
ganz Feines: Honig! Wollen wir beide mal Honig essen gehen? Ja? Willst du? Dann
komm mal mit. Aber immer dran denken: ganz leise, ja?«
    Oh, jetzt
hätte ich beinahe den Essig…
    »Warte mal, Honza! – Ich will
nur mal sehen, ob…« Tatsächlich, sie glüht nicht mehr so sehr! Heute früh waren
ihre Wangen viel heißer! Wusste ich’s doch! Essig in Wadenwickel – das hab ich
auch von Una Branduardi gelernt.
    »Na, nun
komm.«
    »Tady jsou
kořeny.«
    »Nein, das sind keine
Wurzeln. Das ist ein Balken. Der ist hier in der Erde vergraben.«
    Und wie erklärt man einem
Vierjährigen, was ein Ringwall ist? Was eine slawische Burg? Und wozu sich die
Scharfrichter – drei Generationen, sagte Peter – vor der Nase einer Obrigkeit,
die ihnen die Stadt zu verlassen verbot, es sich hier jenseits der Mauern so
nett gemacht haben?
    Überhaupt
scheint das Wichtigste immer unter den Oberflächen zu passieren! Bei der
Beratung vorgestern, als es darum ging, was in dieser Lage zu tun sei – vor den
Mauern die Schweden, in den Mauern die Pest –, hätte ein oberflächlicher
Betrachter nur die fünf Männer gesehen, Kober, der den Vorsitz führte, Valentin
und die drei anderen, dazu Judith, die Protokoll führte; allenfalls hätte man
noch gesehen, dass Judith Valentin, als er kam, etwas zusteckte, ein
Viertelbrot, »Steckt das schnell weg, das braucht niemand zu wissen«, aber dass
es zwischen ihnen noch mehr gab, das niemand zu wissen brauchte, und dass auch
dies den Verlauf der Beratung bestimmte, wäre nicht zu sehen gewesen.
    »Siehst du den kleinen
braunen Topf da oben? Das ist der Honig. – Počkej! Warte! Nicht mit den
Fingern!«
    Ich Transuse,
ich! Warum hab ich daran denn vorhin nicht gedacht! Bei den alten Römern galt
der Honig doch auch als Heilmittel gegen Vergiftungen – und Brandwunden
vergiften den Körper! Ich muss ihr Honig geben, das kann auf keinen Fall
schaden!
    »Genug, Honza. Einen Löffel
noch, und dann ist Schluss. Ihn tragen? Gut, aber sieh hin, wo du läufst. Denk
an den Balken.«
    Und das Wasser in der Tonne
reicht auch noch. Sowieso muss ich sie wieder wecken. Sie muss wieder trinken.
     
     
    Ich habe Valentin gestern
Honzas wegen zurückzuhalten versucht. Ich fand es schon schlimm genug, dass er
am Vorabend durch die Stadt laufen musste, aber da habe ich es noch eingesehen,
weil diese Beratung bei Kober für ihn dienstlich und deshalb nicht zu umgehen
war. Aber gestern, ein weiteres Mal vermummt, mit einem Tuch gegen den bösen
Dunst vor Mund und Nase, mit Beifuß gegen eine böse Spur in den Stiefeln, mit
ängstlichem Blick auf Häuser, an deren Fenstern besonders viele Fliegen wimmelten
– das war zu umgehen!
    Was er mit seiner Judith
hatte, war mir egal! Dass er sie erpressen wollte, war mir auch egal! Ob das
funktionieren würde, war mir erst recht egal! Wenn sie ihren Mann nicht dazu
bewege, die Stadttore öffnen zu lassen, werde er ihm vom Faulbett erzählen! Es
war mir so egal wie die Gestrandeten und Flüchtlinge in der Stadt, die
verwundeten und versprengten Soldaten, die aus ihren Dörfern geflohenen Bauern.
    Jeder musste
eben sehen, wo er blieb. Es war mir so abgrundtief, so himmelhoch egal wie die
Kober’schen Sorgen: Stadttore auf oder Stadttore zu, Soldaten einlassen oder
Zivilisten hinaus. Alle, die vor der Pest in der Stadt fliehen wollten, hinaus.
Es war mir egal wie der Unterschied zwischen Hure und Dirne: Ich hatte gelernt,
ich erkannte Gefahren, ich würde mich drinnen wie draußen durchschlagen.
    Lange genug
hatte ich ja unter Soldaten gelebt! Oder vielmehr nicht gelebt, nur zur Hälfte
gelebt, einen Teil von mir abgetrennt, mit dem ich mich ins Sonstwo begab,
während sie mit dem Rest, wie ihnen beliebte, verfuhren. Sollten sie doch.
Sollten sie schnaufen und schwitzen und grunzen. Sollten sie dies wollen und
das wollen. »Sag Anders zu mir.« – »Anders.« – »Sag: Mehr, Anders.« – »Mehr,
Anders!« – »Sag: Mehr, mehr!« – »Mähr, mähr, mähr, mähr.« Von mir aus sollten
sie mit mir sonst was anstellen, ich war zu Hause und sah die Beskiden. Ich
roch Druckerschwärze und hörte das Quietschen der Presse. Ich las Korrektur
nach dem Andruck eines der komischen Lieder, welche die Hutterer bei uns
drucken ließen: »Gar wenig sind der Städť in dir/die sich nit haben
beflecket.« Ich, die ich

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