Die Hure und der Henker
langsam
vorwärts.
Das Wasser sah aus wie
geschmolzenes Blei.
»Denkt an
›mater‹ und ›pater‹«, sagte der Vater einmal beim Gießen, als wir uns die Namen
der Formenteile nicht merken konnten. »Matrize und Patrize sind Mutter und
Vater der Letter.«
Ein bisschen
schneller, fand ich, könnte das Ertrinken schon gehen. Ich wartete weiter.
Mein Kind
würde Vater und Mutter nicht kennen lernen. Ich wartete weiter.
Außerdem
würde ich es auch ganz anders erziehen.
Es war
wirklich eiskalt. Und entschieden zu flach. Natürlich, es war
Frühjahrshochwasser. Ich stand nicht im Fluss. Ich stand auf einer Wiese.
Als Antje
kam, damals, war ich schon umgekehrt.
Da hatte ich
schon beschlossen, mich am Feuer zu wärmen, mir etwas Schnelleres einfallen zu
lassen und erst am nächsten Tag weiterzusterben.
Und das war
es gestern. Deshalb hab ich Valentin zurückhalten wollen. Denn nicht dafür hab
ich damals am Feuer geheult, sodass Suse knurrte: »Du wirst es noch löschen!«,
nicht dafür habe ich mich dann sogar auch wieder mit Una vertragen und ihr
»Zasvítil měsíc nad humenkou« beigebracht, das traurige Lied vom Mond über
der Scheune, und ihr das Ende vom Lied übersetzt: »Komm, wir vergessen
beide/all die schönen Eide/die wir sprachen aus/bei uns zu Haus.«
Nicht dafür
habe ich all die schönen Eide vergessen, geschworen in Mähren unserem Herrn,
nicht den Menschen. Habe ich mich ergeben und genommen, was kam, also nun auch
das Kind, bei dessen Geburt sich Una fast überschlug und Antje und Suse so
taten, als sei es das ihre. Nicht dafür hab ich mich später mit ihnen wegen
dieses Kindes um Essen geprügelt, hab für es gestohlen, gehungert, gehurt,
damit Valentin durch seinen Leichtsinn mir die Pest ins Haus schleppt und ich
es langsam verrecken sehen muss. Habe ich gestern Abend gedacht.
19
Und dann war
ich es selbst, die das Kind gestern in Gefahr brachte, weil ich Valentin
nachlief, um ihn zu warnen. Weil ich ihm nicht vergessen konnte, dass er uns
damals auflas, uns aufnahm, nach dem großen Schlachten bei Wittstock, dessen
übliches Ende ich nicht noch einmal miterlebte, das gebückte Kontrollieren der
Gefallenen, das Stiefel- und Kleiderausziehen, das Gejammer der Weiber, »So ein
schönes Hemd, ganz von Blut versaut«. – »Das kriegst du doch mit kaltem Wasser
noch raus«. – »Nee, es ist auch zerhauen und zerfetzt«. Una hatte für uns
anders entschieden. Zwar war sie erst wenig zuversichtlich gewesen, hatte, als
die Gegner sich auf den Hügeln aufbauten, rechts im Bogen die Sachsen, links
die Kaiserlichen, uns durch ihr Fernglas sehen lassen, wodurch auch uns
angesichts der Befestigungen, der Schanzen, Geschütze und Wagen die Sorge, wie
wir im Falle der Niederlage die Fronten am besten wechseln könnten, ankam. Auch
musste man von Reserven, Flanken, Durchbrüchen und dergleichen gar nichts
verstehen, um in dem Kampfgetümmel an den Hängen, das manchmal bis zum Fluss
hinunterwogte, gegen Abend zu erkennen, dass die Schweden dabei waren,
zurückzuweichen. »Antje lernt schon Sächsisch«, spottete Suse, und dann sahen
wir uns an. Ich hatte Honza bei mir und drückte ihn an mich: Im Rücken der
Verbündeten hörten wir neuen Kampflärm und die Losung der Schweden »Gott mit
uns«. King und seine schottische Reiterei, die wir mittags hatten wegreiten
sehen, griff dort an. Und nach dem Sieg, als die Sachsen und Kaiserlichen
Richtung Pritzwalk flohen und Stahlhans sie mit seinen Reitern verfolgte, war
Una der Meinung, dass die Beute der Reiter größer sein würde als das, was wir
den Gefallenen abnehmen könnten. Wir wollten es machen wie immer: Zwei zogen
aus, zwei bewachten das Zelt, die Einnahmen von Außen- und Innendienst würden
wir teilen durch vier. Sie teilten durch drei. Ich blieb damals in Pritzwalk.
Wir hatten
uns abgesprochen: Una die Sünde, ich die Tugend, Honza brauchbares Attribut.
Una für die Draufgänger, ich für die Schüchterneren. Valentin, der weder das
eine noch das andere war, kam damals erst, als Honza den ersten Becher Milch
schon getrunken und den zweiten, den er unbedingt haben wollte, mir zugeschoben
hatte: »Da! Mama!« Ich bemerkte ihn auch nicht gleich, denn ich achtete auf die
mit Una verabredeten Zeichen und versuchte herauszufinden, ob der weißblonde
Ältere, einer von Stahlhansens finnischen Reitern, oder die drei Jüngeren an
seinem Tisch, die ich ihrer Schuhe und der untaillierten Stoffjacken wegen für
Dragoner hielt, bessere
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