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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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und dann habe man
sich die Freiheit genommen, in ferneren Gegenden über Märkte zu gehen und in
Schenken zu sitzen. Erst sein Großvater habe das Versteck auch bewohnbar
gemacht. Als Zuflucht für Pest- und Kriegszeiten, obwohl die Pest auf die
Scharfrichterinsel nicht kam. »Bei uns«, sagte er, »war man schon immer
gesund.«
    Seine Familie
sei in Könkendorf, sagte er. Das sei so abseits und mitten im Wald gelegen und
so schwer, nur auf schlechtem Weg zu erreichen. Das werde wohl kaum von
durchziehenden Soldaten gefunden. Ihn hätten sie dazu bestimmt, auf der Insel
nach dem Rechten zu sehen. Außerdem müsse er sich ab und zu auch in den Straßen
zeigen. Selten sehe jemand dem Scharfrichter ins Gesicht. Auch sähen seine
Brüder und er sich sehr ähnlich.
    Ich lachte.
Die Vorstellung, wie dieser Siebzehnjährige der Stadt eine Vorstellung gab, mit
seinem weiten schwarzen Umhang und seiner tief in die Stirn gezogenen Kapuze
der Obrigkeit die Anwesenheit einer Männerschar vortäuschte, schüttelte mich so
sehr, dass schließlich auch er mich zu schütteln begann.
    »He! Komm zu dir!«
    Da merkte ich, wie viel Kraft
er besaß. Manchmal, am Tage, hatte ich ihn vom Ufer, vom Steg der Gerberei aus,
wo ich immer Wasser holte, üben gesehen. Er zerhieb mit seinem Übungsschwert
waagerecht Baumäste verschiedener Stärke. Das sei für die Meisterprüfung,
erfuhr ich. Jemanden nicht auf dem Richtblock, sondern im Stehen zu enthaupten,
erfordere nicht nur große Kraft, sondern auch eine ganz besondere Art der
Körperbeherrschung, da man auf andere Art sehen, zielen und sich drehend
ausholen müsse.
    Dann
beherrschte er seinen Körper aber gleich nicht mehr so gut. Ich tat meine
Arbeit, die, wie immer bei den ganz Jungen, nur im Geschehenlassen bestand, und
kam gegen Morgen mit einem Töpfchen voller Knieperkohl, den seine Patentante
Judith Kober erfunden habe, in die Kate Achter der Mauer zu Valentin, der noch
schlief oder sich schlafend stellte, zurück.
     
     
    Es ging mir
um Honza. Ihn, meinen Sohn, wollte ich gestern vor Valentins Leichtsinn
beschützen. Honza, mein Kind, das ich anfangs nicht wollte, auf das ich auch
gar nicht gefasst war, hatten mir nicht alle versichert, eine Schwangerschaft
sei bei uns ausgeschlossen? Auch Una! Mit der ich flüsterte, wenn Antje und
Suse schliefen. Die mir von ihrem Verlobten erzählte, den sie wiederzufinden
hoffte, einem Musiker am sächsischen Hof, dann Militärmusiker in sächsischen
Diensten, dessen Spur sich in Prag verlor, und ich erzählte von meinem Bruder,
dem Drucker, dessen Spur sich auch in Prag verlor. Und dass auch ich hoffte,
ihn wiederzufinden, und zwar allein.
    »Schwanger?
Du spinnst wohl.«
    Una, damals, am Feuer vorm
Hurenzelt, erinnerte mich an flache Steine vorm Muttermund und an kühlenden
Essig. »No, no. Kein Bambino. Hier bekommt man kein Kind.«
    Und ich bekam
ja auch keins.
    Im ersten
Jahr nicht. Im zweiten Jahr nicht. Im dritten, als mir auffiel, dass die
monatliche Kalamität, die immer schwierig genug zu behandeln war, ausblieb, war
ich sogar noch froh darüber, überzeugt, dass es mir nun gehe wie den meisten
anderen auch. Wir waren etwa dreihundert Frauen im Tross. Wenig, wie Una mir
sagte. Sonst habe etwa die Hälfte der Soldaten ihre Frauen und Kinder bei sich.
Die andere Hälfte komme zu uns.
    Viele der
Frauen hatten damals ihre Tage nicht mehr. Die ständige Angst vor Überfällen
wirkte auch dann, wenn man versuchte, an sie nicht zu denken. Gern überfielen
die Feinde den Tross. Nicht nur, weil Frauen und Kinder eine leichtere Beute,
sondern vor allem, weil die Kriegskasse, trotz ihrer scharfen Bewachung, weil
Munitions- und Pulver- und Proviant- und Gerätewagen eine besonders schwere
Beute versprachen. Dazu die viele Anstrengung – aufbauen, abbauen, beladen,
entladen, Feuerholz suchen – und das wenige Essen. Ich machte mir zunächst
keine Sorgen.
    Außerdem
spürte ich nichts. Mir war morgens nicht schlecht und mir war abends nicht gut.
Mir war nur, wohin wir zogen, egal. Nach Norden? Gut, also nach Norden.
    Nach dem Sieg der Schweden
bei Breitenfeld liefen ihnen die Deutschen zu. Man ließ die deutschen
Regimenter im Süden. Die schwedischen, jene, die aus echten Schweden bestanden,
wurden nach dem Tod Gustav Adolfs nach Norden gezogen, also auch das unsere,
und wie immer, wenn man keine Karten hatte oder die vorhandenen ungenau waren,
richtete man sich nach dem Lauf der Flüsse. Es ging langsam. Nicht nur mit
unserem Wagen, dessen

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