Die Hure Und Der Moench
trug ein kurzes Leinenkleid und Fellschuhe. Das lange Haar fiel ihr offen über die Schultern. Danach hatte sie sich immer gesehnt: Ohne die einengenden Kleidungsstücke, Hauben und Bänder, einfach so zu sein, wie Gott sie geschaffen hatte. Sie warf einen Blick zu Bianca-Adam hinüber, die mit einem Lendenschurz und einem knappen Wams aus Leder bekleidet war. Ihre Haare hatte sie unter einer Filzkappe verborgen. Dorothea, mit Engelsflügeln und weißem Gewand, saß unter einem Baum und spielte die Laute. Andere Nonnen, ebenfalls als Engel verkleidet, sangen im Hintergrund. Angelina trat zu Bianca und nahm sie an der Hand.
»Oh, wie ist es herrlich und beruhigend, im Paradies zu sein«, sagte sie. »Wir sind geboren, ich aus dir und du aus Gott, und wir sind ohne Schuld und Fehler.«
Bianca löste ihre Hand aus der Angelinas und fasste sie mit beiden Händen an den Armen.
»Möge dieser Zustand doch ewig anhalten! Wir dürfen Gott, unseren Herrn, keinesfalls erzürnen, sondern müssen immer tun, was er uns geheißen hat.«
»Was hat er uns denn geheißen?«, fragte Eva.
»Wir dürfen nicht von den roten Äpfeln eines bestimmten Baumes essen. Sonst ist uns alles erlaubt.«
»Wir dürfen mit den Engeln tanzen, singen, süße Feigen und Kirschen essen, uns in Wasserfällen baden?«
»Alles! Nur eben eines nicht.«
»Von diesem Baum der Erkenntnis essen.«
Sie tanzten und sangen mit den Engeln. Mutter Elisa näherte sich vom Bühnenrand her. Sie trug ein feuerrotes Zottelkleid mit grünem Hut, auf dem lange Federn wippten. Ihr rosiges Gesicht hatte sie geschwärzt, so dass die Augäpfel weiß daraus hervorstachen. Mit einem Zischen näherte sie sich Adam und Eva. Angelina musste ein |284| Lachen unterdrücken, und auch im Zuschauerraum wurde verhaltenes Glucksen hörbar. Die Schlange wand sich, schlängelte sich näher an Angelina heran. Adam beschäftigte sich währenddessen mit einem der Engel, auf den er einredete. Die Schlange brachte ihr Gesicht ganz nah an das von Eva heran und sagte näselnd:
»Es ist schön für dich, im Paradies zu sein, Eva. Doch du dauerst mich. Nichts weißt du von dem, was in der Welt da unten vor sich geht. Du wirst auf ewig dumm und unwissend bleiben!« Die Schlange zischte abermals und wackelte mit dem Hinterteil. Angelina bemühte sich, ernst zu bleiben. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief:
»Aber ich will nicht auf ewig dumm und unwissend bleiben! Was kann ich tun, Frau Schlange, um sehend zu werden?«
Die Schlange grinste geheimnisvoll.
»Es gibt einen Baum im Paradies, der heißt der Baum der Erkenntnis. Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse!«
»Was sind das für Früchte, die am Baum der Erkenntnis wachsen?«
»Es sind rote Äpfel«, sagte die Schlange. Zwei Engel trugen den Baum, der vor der Kirche gestanden hatte, auf die Bühne.
»Das ist der Baum«, erklärte die Schlange und drehte sich einmal um sich selbst. Eva lief entzückt auf den Baum zu. Sie griff nach einem der Äpfel und biss herzhaft hinein. Der Saft rann ihr am Mund herab. Die Schlange zog sich langsam zurück und war dann verschwunden. Evas Augen wurden groß, sie gingen ihr über. Adam löste sich von dem Engel, mit dem er gesprochen hatte, und trat auf Eva zu.
»Was isst du da, Eva?«, wollte er wissen.
»Einen Apfel vom Baum der Erkenntnis.«
Adam sprang einen Schritt zurück.
»Aber das dürfen wir nicht! Gottvater hat es verboten!«
»Willst du dein Leben lang dumm und unwissend bleiben? Ich erkenne schon, ich weiß jetzt, was gut und was böse ist.«
|285| »Niemals werde ich mein Wort brechen!«, rief Adam aus.
»Dann sind unsere Wege von nun an getrennt«, meinte Eva. Sie wandte ihm den Rücken. Was sagte sie da? Angelina erschrak heftig. Gerade hatte sie ihrem Freund, der sie über alles liebte, mit der Trennung gedroht. Aber sie durfte nicht aus der Rolle fallen. Eva drehte sich wieder zu Adam um.
»Du hast freilich die Wahl, ob du davon essen willst oder nicht. Ich fange schon an zu bereuen, dass ich es getan habe!«
»Was du getan hast, will ich ebenfalls tun«, sagte Adam. »Ich werde ebenfalls von dem Baum essen.« Er nahm einen Apfel und biss hinein. Die beiden schauten sich einen Augenblick lang entsetzt an. Die Schlange trat an den Rand der Bühne und erklärte: »Sie werden sich ihrer Nacktheit bewusst und schämen sich. Sie bedecken ihre Blöße mit Feigenblättern. Gottvater will sie zur Rede
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