Die Hure Und Der Moench
hast, in dir abgetötet? Schau dir doch dieses Bild hier an. Die Kreuzigung. Maria Magdalena liegt vor dem Kreuze Christi und beweint den Geliebten. Höllengetier bedrängt die beiden und die Stadt Florenz, während Gottvater seine Engel ausschickt, um die Teufel zu bekämpfen. Ich sehe da nur Trauer und Öde, keinen Funken Lebendigkeit, den doch die göttliche Liebe ausstrahlen sollte!«
»Es gibt nichts, das es in der heutigen Zeit zu feiern gäbe«, entgegnete Botticelli ernst. »Den ganzen letzten Sommer hat es geregnet, und bald wird wieder ein großer Regen kommen. Die Ernte ist vernichtet, die Leute hungern und sterben wie die Fliegen. Das Ende des Jahrhunderts naht, und damit auch das Ende der Zeit, das Weltgericht. Savonarola hat es gesagt, er wird uns aus der Not erretten, Gott wird uns erretten durch ihn, er ist sein Werkzeug!«
»Sandro, ich verstehe nicht, wie du dein großes Talent so sehr in den Dienst eines Mönches stellen kannst, der hier in der Stadt immer mehr an Boden verliert!«
»Halte es aus, lieber Freund«, erwiderte Botticelli mit matter Stimme. »Bleib an meiner Seite. Und du wirst sehen, wie wir alle in das Himmelreich eingehen.«
»Ich unterstütze dich weiterhin, Sandro. Mit dem Porträt von Angelina Girondo habe ich gerade begonnen, wie du weißt.«
»Wir können das Geld gut gebrauchen«, sagte Botticelli mit Tränen in den Augen. Er umarmte den Freund.
|38| Am folgenden Tag ging ein feiner Sprühregen nieder. Angelina und Sonia mussten ihre Röcke schürzen, damit sie sich auf der Straße nicht mit Dreck bespritzten.
»Wo hat denn Signor Tomasio seinen Tuchladen?«, wollte die Magd wissen.
»An der Piazza del Duomo«, erwiderte Angelina.
Sonia sprang über eine Pfütze hinweg.
»Für Euch ist nur das beste Kleid gut genug«, meinte Sonia und lachte, dass ihre Grübchen hervortraten. Kurze Zeit später erreichten sie den Laden mit der Aufschrift ›Venduti-Kleider und Tuche‹. Sie betraten ihn durch einen Vorhang aus Glasperlen, die leise klingelten. Tomasio war nicht anwesend, dafür ein junger, vornehm gekleideter Mann mit untadeliger Frisur. Es roch nach Wolle und nach gestärktem Leinen. Auf den Regalen und an den Wänden waren Ballen aufgeschichtet, Tuche aus Barchent, einem Baumwollgemisch aus Wolle, Seide, Brokat und Samt.
»Womit kann ich dienen?«, fragte der Mann.
»Mein Name ist Angelina Girondo«, begann sie. »Signor Venduti hat mich gestern gebeten, hierherzukommen, um Maß für ein Kleid nehmen zu lassen.«
»Einen Augenblick, werte Signorina, der Schneider ist nebenan, er ist noch beschäftigt. Nehmt doch indessen Platz.« Er schob den beiden zwei Stühle hin, in deren Lehnen kunstvoll Rehe und Hasen geschnitzt waren. Angelina schaute aus dem Fenster zu dem Platz hinaus. Der Dom mit seinem weißgrünem Marmor stand direkt vor ihr, die Kuppel konnte sie nur erahnen. Der Eingang zum Dom und alle Ecken des Platzes waren von Bettlern belagert, die jedem, der eilig vorüberschritt, ihre mageren Hände entgegenstreckten.
»Es ist eine Schande«, meinte der junge Mann, der Angelinas Blicken gefolgt war. »Sie haben uns Freiheit und einen Gottesstaat versprochen, in dem jeder glücklich sein und sein Auskommen haben sollte, und jetzt sterben die Armen auf der Straße, weil es kein Brot mehr gibt!«
Der Mann hatte recht. Wo hatte sie nur bisher ihre Augen gehabt? |39| Sie schaute Sonia an, aber die schüttelte nur den Kopf.
»Die Leute in der Stadt werden immer unzufriedener«, fuhr der Verkäufer fort. »Es heißt, kurz vor Christi Himmelfahrt, dem Tag, an dem die Kanzel des Doms besudelt wurde, hätte Papst Alexander Savonarola exkommuniziert. Es wird noch bekannt gegeben, und dann wird jeder, der seinen Predigten weiter zuhört, aus der Kirche ausgeschlossen!«
Angelina erschrak. Was sollte dann aus Botticelli, was aus Francesco werden? Der Schneider erschien, ein schlanker Mann mit Seidenwams und weichen Lederschuhen.
»Wenn Ihr Euch mit Eurer Magd nach nebenan begeben wollt …«, näselte er. Im Nebenraum standen einige Büsten mit kostbaren Gewändern. Der Schneider bat Angelina, still zu stehen, damit er ihre Maße nehmen konnte. Welche Stoffe sie für das Kleid wünsche, wollte er wissen.
»Vielleicht aus dunkelrotem Samt?«, meinte sie, nicht sicher, durch welchen Stoff ihre Gestalt und ihr Gesicht am besten zur Geltung kommen würden.
»Ich schlage ein Kleid aus dunkelroter Seide vor«, entgegnete der Schneider, »über und über bestickt mit
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