Die Hure Und Der Moench
stieg wie Dampf aus dem Boden und umhüllte die alten Mauern des Klosters. Angelina dachte an Francesco, an seine Augen, die sie immer wie prüfend, aber auch mit einem besonderen Glanz anschauten. Ein Fiepen schreckte sie aus ihren Gedanken. Das mussten wieder die Ratten sein. Letztes Jahr hatte es schon einmal viele Ratten gegeben, bevor die Pest ausbrach. Angelina beschloss, das, was sie gesehen hatte, geheimzuhalten. Sonst würde man ihr womöglich verbieten, das Haus noch einmal zu verlassen.
|45| 5.
Nachdem der Schneider ihr den wunderbaren Stoff vorgeführt hatte, brachte ein paar Tage später ein Bote das neue Kleid. Es war noch schöner, als Angelina es sich vorgestellt hatte. Das Überkleid war aus der feinen, dunkelroten, goldbestickten Seide, die Überärmel bauschten sich weit, und dazu wurden ein weißseidenes Hemd und ein Unterkleid aus eierschalfarbenem Atlas geliefert. Angelina zog sich auf ihr Zimmer zurück und ließ sich von Sonia bei der Schnürung des Mieders helfen. Sie stellte sich vor den Spiegel, der von silbernen Blumenornamenten umrankt war. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Der Ausschnitt zeigte den Ansatz ihres sanft gerundeten Busens.
»Meinst du nicht, dass der Ausschnitt …«, sagte Angelina, zu Sonia gewandt.
»Ach was, liebe Herrin, jetzt ziert Euch nicht so. Das tragen doch alle Frauen unter ihren züchtigen schwarzen Mänteln!« Sie ging zum Schrank mit den Schnitzereien, holte einen cremefarbenen Seidenschal heraus und verknotete ihn leicht um Angelinas Hals.
»Seht, wie gut Euch das kleidet!«, meinte die Magd zufrieden. »So könnt Ihr auch Euren Eltern unter die Augen treten.«
»Hol mir noch das perlenbestickte Haarnetz«, bat Angelina. Als Sonia es kunstvoll in ihrem Haar befestigt hatte, geleitete die Dienerin sie hinunter in das Arbeitszimmer ihres Vaters, in dem ihre Eltern angeregt plaudernd beieinandersaßen. Beide schauten Angelina mit großen Augen entgegen.
»Angelina, du bist schön, als wenn es deine Hochzeit wäre!«, rief Signora Girondo aus. »Das Kleid steht dir ausgezeichnet«, fügte sie hinzu, als sie die heruntergezogenen Mundwinkel ihrer Tochter bemerkte.
|46| »Aber wie willst du damit an den
Fanciulli
vorbeikommen?«, fragte Signor Girondo augenzwinkernd.
Angelina drehte sich übermütig im Kreis und rief: »Ich ziehe meinen schwarzen Mantel darüber, den mit der Kapuze, und niemand wird wissen, wie ich darunter ausschaue!«
»Wann gehst du wieder zu Francesco?«, wollte ihre Mutter wissen.
»Heute Nachmittag, gleich nach dem Essen«, entgegnete Angelina.
»Nimm Sonia mit«, mahnte Signora Girondo. »Und sorge dafür, dass sie sich ebenfalls schicklich anzieht.«
»Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Frau Mutter.«
Beim Mittagessen wartete Angelina ungeduldig auf die Glockenschläge der nahegelegenen Klosterkirche. Endlich schlug sie zwei Mal, gefolgt vom Dröhnen der Glocken des Doms und der anderen Kirchen. Gleich nach der Nachspeise brach sie mit Sonia auf. Draußen schien die Sonne, und die Menschen machten heute ausnahmsweise einmal fröhlichere Gesichter. Sie liefen durch die belebten Gassen zur Via Nuova. Francesco erwartete sie schon.
»Sonia, Lucas Bandocci, der Gemüsehändler lässt dir ausrichten, er habe heute besonders gute und frische Ware bekommen. Ob du dir die mal ansehen möchtest?«
Mit einem beklemmenden Gefühl im Magen dachte Angelina an das, was ihr die Eltern vor einigen Tagen eingeschärft hatten. Aber angesichts der strahlenden Gesichter von Francesco und Sonia verging diese Anwandlung schnell wieder, und sie folgte Francesco in die Werkstatt. Der Meister, Sandro Botticelli, war ebenfalls anwesend und gab seinen Gesellen Anweisungen. Er trug nicht mehr die kostbaren Gewänder, in denen ihn Angelina einmal als Kind gesehen hatte, in der Zeit, als die Medici in Florenz noch das Sagen hatten. Botticelli warf einen kurzen Blick auf die Ankömmlinge, dann wandte er sich wieder seinen Gehilfen zu.
»Die ›Kreuzigung Christi‹ übernehme ich ab jetzt allein«, sagte er mit seiner tiefen, angenehmen Stimme. »Du, Remigio, kannst mir bei der Illustration von Dantes ›Göttlicher Komödie‹ zur Seite |47| stehen. Ihr anderen fertigt die bekannten Porträts für die Schlafzimmer der reichen Florentiner.« Er zwinkerte Francesco zu. »Willst du Signorina Girondo mit Mantel und Kapuze malen? Da kommen ihr schönes Gesicht und ihre Figur aber nicht so richtig zur Geltung.«
»Mein Meister«, antwortete
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