Die Hure Und Der Moench
geworden?«
|360| »Der ist verschollen«, meinte die Frau. »Ich glaube nicht daran, dass er von einem Wegelagerer erschlagen wurde. Gewiss lebt er in einer anderen Stadt und hat dort ein Geschäft eingerichtet.«
»Habt Ihr ihn nicht mehr gesehen?«
»Nein, wir sind alt und krank«, antwortet der Mann. »Wir kommen aus unserem Dorf nicht heraus. Was in Florenz geschieht, geht uns nichts mehr an.«
»Ich dachte, der Tod seines Bruders sei ein Unfall gewesen?«
Die Frau schnaubte nur und schüttelte den Kopf.
Warum diese Leute wohl so verbittert waren? Hatten die Söhne sie zu sehr enttäuscht? Als hätte sie ihre Gedanken gehört, fuhr die Frau fort:
»Domenian hat uns sehr enttäuscht. Er war immer widersetzlich. Nie tat er das, was man von ihm verlangte. Und dass er nie geheiratet hat …«
»Jetzt lass doch die alten Geschichten«, unterbrach Signor Brenetto sie.
»Domenian war eigentlich kein schlechter Junge«, fuhr die Frau fort. »Er hatte nur immer seinen eigenen Kopf. Und er vertraute sich uns nie an. Einmal hat er sich tagelang herumgetrieben und kam in einem verwahrlosten Zustand zurück. Er hat uns nie gesagt, wo er gewesen ist.«
Angelina fühlte sich wie vom Blitz getroffen.
»Könnt Ihr Euch daran erinnern, wann das war?«, fragte sie.
Die Frau betrachtete ihre groben Finger und zählte ab.
»Jetzt haben wir das Jahr 1498«, meinte sie. »Es muss viele Jahre her sein. Ich glaube, es war 1492 oder 1493.«
»Da war ich zwölf oder dreizehn Jahre alt«, sagte Angelina tonlos. »Dann kann er es nicht gewesen sein.«
»War Domenian bei Euch?«, fragte die Frau. Sie schaute Angelina fast hasserfüllt an.
»Nein, daran erinnere ich mich nicht«, entgegnete Angelina. »Eine letzte Frage, und dann lassen wir Euch wieder in Ruhe. Wo würde Domenian hingehen, wenn er in Bedrängnis gerät?«
|361| »Das weiß ich nicht«, antwortete Signora Brenetto. »Er hat ja nie etwas gesagt.«
»Am ehesten noch zu einem Priester oder zu einem Mönch«, setzte Signor Brenetto hinzu.
Die beiden dankten dem Ehepaar und verabschiedeten sich. Schweigsam ritten Angelina und Francesco den Weg nach Florenz zurück.
»Was denkst du dir eigentlich dabei, die beiden alten Leute so auszufragen?«, riss Francesco sie aus ihren Gedanken.
»Ich habe sie nicht ausgefragt, ich wollte wissen, was damals hier auf dem Land geschehen ist!«, fauchte Angelina.
»Angelina, du bist nicht mehr dieselbe, als die ich dich kennengelernt habe. Du wirkst auf mich immer mehr wie jemand, der … der von einem Dämon besessen ist!«
»Ach ja? Und wenn es ein Dämon wäre, so müsste ich ihm folgen …«
»Ich liebe dich, Angelina, ich kann es nicht zulassen, dass du dich zugrunde richtest!«
»Du richtest mich zugrunde, wenn du mir Steine in den Weg legst!«
»Lass uns Florenz den Rücken kehren, Angelina. Wir gehen in eine andere Stadt. Es wird schlimm genug kommen.«
»Und wovon sollen wir leben, bitte? Von deinen Aufträgen?«
Francesco verzog schmerzlich getroffen das Gesicht.
»Du redest schon wie deine Mutter. Wartest du vielleicht immer noch auf einen reichen Ehemann? Dann nimm doch Tomasio Venduti, er wollte dich doch schon immer haben!«
»Wen ich nehme oder nicht nehme, ist meine Angelegenheit«, gab Angelina zurück.
Die ersten Hütten der Vorstadt kamen in Sicht. Es wurde dunkel. Angelina hatte das Verlangen zu weinen. Hatte sie jetzt alles, was zwischen ihnen gewesen war, zerstört? Aber sie konnte nicht zurück. Sie gab ihrem Zelter die Sporen und galoppierte davon.
»Warte, Angelina«, rief Francesco ihr nach. »Wo willst du denn hin?«
|362| 47.
Domenian rieb sich die schmerzenden Glieder. Nach zwei Nächten auf dem harten Untergrund fühlte er sich wie erschlagen. Seine Strohmatratze in der Zelle von San Marco war ein Himmelbett dagegen gewesen. Er sah sich in seiner Behausung um. Der steinerne Sarkophag stand in der Mitte des Raumes, Boden und Wände waren nackt. Ein gotisches Gewölbe spannte sich über den Raum. Hier versteckte sich Domenian, hier schlief er des Nachts.
Tagsüber trieb er sich in der Stadt herum, um aufzuschnappen, was mit seinem Herrn Savonarola weiter geschehen werde. Heute würde er der peinlichen Befragung im Bargello-Palast unterworfen werden. Am liebsten wäre Domenian sofort zu ihm geeilt, aber er durfte ihn nicht noch weiter in Gefahr bringen. So musste er aushalten, versuchen, die Gedanken an die Tortur wegzuschieben.
Savonarola hatte alles richtig vorausgesehen. Wenn einer
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