Die Hure Und Der Moench
und doch war ein Körnchen Wahrheit in seinen Worten.
»Ich danke Euch, hochwürdiger Pater«, beendete sie das Gespräch. »Ich werde tun, was Ihr mir befehlt.«
Benommen erhob sich Angelina und wandte sich langsam zum Ausgang des Doms. Sie fühlte sich ganz verloren in dem riesigen Schiff. Draußen blinzelte sie, so gleißend traf sie das Licht der Sonne. Es war alles unverändert, der Platz, die Menschen, die umhergingen, einkauften, arbeiteten oder in Gruppen zusammenstanden. Sie drehte sich um und blickte zurück auf den Dom. Wie eine farbenprächtige Faust Gottes erhob er sich über der Stadt. Die Berge dahinter nahmen ihren Blick gefangen. Sie waren mit Wein und Wald bewachsen.
Die Gesichter der Vorübergehenden aber erschienen ihr wie die von Teufeln, die der Unterwelt entstiegen waren. Angelina kam am Kloster San Marco vorbei. Still und scheinbar verlassen lag es da. Hier hatte Savonarola gewirkt, hier lebte bis vor kurzem Domenian Brenetto. Hatte sie es nicht schon immer gespürt, dass er der Priester war, dem sie gebeichtet hatte? Der Gedanke, wie viel sie ihm über sich und ihre engsten Freunde verraten hatte, trieb ihr das Blut in die Wangen. Wie oft hatte er ihr die Beichte abgenommen? Es musste insgesamt vier Mal gewesen sein. Und wenn er ihnen von Florenz aus zum Lago Trasimeno gefolgt war?
Aber warum hatte er Fredi, Matteo und Eleonore ermordet, womöglich noch den Brief geschrieben, der Sonia und Lucas aus der Stadt vertrieb? Alles drehte sich im Kreise. Die letzten Häuser der Stadt blieben hinter ihr zurück.
Angelina begann den Weg nach Fiesole hinaufzugehen. Da standen |369| Weinreben, Hainbuchen und Ebereschen, und sie wuchsen, blühten, streuten ihre Samen aus und vermehrten sich. Wenn der Herbst kam, ließen sie ihre Blätter fallen. Im Frühling erwachten sie zu neuem Leben. Warum konnte nicht auch ihr Leben so einfach sein? Angelina stieg weiter den Berg hinauf. Die Weinreben zeigten das erste zarte Grün, Kirschbäume standen in Blüte. Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu; sie übergoss die Landschaft mit ihrem Licht. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der Zikaden. Es roch nach Erde und nach Ginster. Doch Angelina konnte sich nicht darüber freuen. Etwas Dunkles, das schon lange in ihr gesteckt hatte, drohte sich immer mehr auszubreiten. Sie stolperte den Weg entlang, blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Was, wenn der Priester recht hatte? Wenn sie eine vom Teufel Besessene wäre? Das würde erklären, warum so viele Menschen ihrer Umgebung zu Tode gekommen waren!
Aber wann hätte der Teufel in sie einfahren sollen? Hatte sie an einem Hexensabbat teilgenommen? Angelina war verwirrter als je zuvor in ihrem Leben. Die Dämmerung sank herab, das Zirpen der Zikaden wurde lauter. Sie hielt inne. Sie war weit gegangen, noch mehr durfte sie sich von den Menschen nicht entfernen. Daran, dass ein Wegelagerer sie überfallen könnte, dachte sie nicht. Sie kehrte um und rannte im letzten Schein des Tages den Weg zurück, den Berg hinunter, bis sie mit fliegendem Atem und schweißüberströmt bei den ersten Häusern ankam. Eine glühende Kohlenpfanne erschien ihr plötzlich wie ein Trost.
Angelina klopfte an die Tür ihres Elternhauses und wurde ohne ein Wort des Vorwurfs empfangen. Erst um Mitternacht fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte, jemand habe ihr etwas ins Essen getan, vielleicht Gift oder Bilsenkraut. Es wurde ihr ganz leicht zumute und sie schwebte vom Bett empor, durchs Fenster aus dem Haus hinaus in die kalte Nacht.
Über ihr glitzerten die Sterne, unter ihr die Lichter von Florenz. Andere Männer und Frauen waren mit ihr unterwegs, sie schienen dem gleichen Ziel zuzustreben. Ein Gesang begleitete sie, der |370| manchmal an- und dann wieder abschwoll. Dazu brauste der Wind und trieb sie vor sich her. Das da unten musste Lucca sein, dann erschienen fern die Steinbrüche von Carrara, in denen sich winzige Menschen wie Ameisen hin- und her bewegten, mit Fackeln in den Händen. Der Gipfel des Monte Pisanino kam in Sicht, mächtig ragte seine Spitze in den nachtdunklen Himmel. Woher wusste sie, dass es der Monte Pisanino war? Sie hatte ein Wissen in sich, das es schon seit Anbeginn der Menschheit gab und das sich nun entfaltete.
Doch die Reise war schon bald zu Ende. Sie fiel hinab, konnte sich nicht mehr in die Luft erheben, stürzte und schlug am Boden auf. Verwirrt öffnete sie die Augen. Ihr Körper fühlte sich an, als sei sie aus großer Höhe
Weitere Kostenlose Bücher