Die Hure Und Der Moench
ein Prophet war, dann er! Ein quälendes Verlangen nach Luft überkam Domenian. Er steckte sein Bündel in den Sarkophag, rückte den Deckel wieder zurecht und wunderte sich, dass er noch die Kraft dazu besaß. Draußen blinzelte er, weil ihn gleißendes Sonnenlicht blendete. Er sah keine
Fanciulli
mehr auf dem Platz. Die Bürger hatten ihre Kleider, die sie vor dem Fegefeuer gerettet hatten, angetan und sich mit Perlen und Gold behängt. Wartet nur, bis Savonarolas Unschuld erwiesen ist, er wird mit einem eisernen Besen so lange den Unrat aus der Stadt kehren, bis sie blitzsauber und Gott gefällig ist! Aber wenn seine Unschuld nun nicht erwiesen würde?
Domenian wurde unruhig, es kribbelte in seinen Beinen. Er lief weiterhin ziellos durch die Stadt. Gegen Nachmittag kehrte er auf |363| den Domplatz zurück und erfuhr, dass Savonarola in seine Zelle zurückgebracht worden sei. Domenian lief durch die Straßen zum Palazzo Vecchio, wo die drei Mönche inhaftiert waren.
»Lasst mich zu ihm«, drängte er die Wachen.
»Was bist du denn für einer?«, rief der Mann, den er angesprochen hatte. »Wer will denn heute noch etwas mit dem Ketzer zu tun haben?«
»Ich bin Priester vom Kloster San Marco, ich will ihm die Beichte abnehmen«, versetzte Domenian geistesgegenwärtig.
»Dann geh rein, Betbruder, aber halte dich nicht zu lange auf.«
Ein Wärter führte ihn durch schmale, dunkle Korridore mit vergitterten Zellen an den Seiten. Das Gefängnis war nur halb gefüllt. Domenian erblickte Savonarola in einer der Zellen. Der Wärter stellte sich in einiger Entfernung auf. Savonarolas Bart und seine Haare waren struppig, es stank entsetzlich. Der
Frate
lag auf einer Schütte von schmutzigem Stroh, mit einem Büßerhemd angetan. Seine Augen blickten ins Leere.
»Girolamo«, rief Domenian ihn an. Ihm versagte fast die Stimme.
Savonarola wandte den Kopf langsam zu ihm um. Der Glanz in seinen Augen war erloschen.
»Gott schickt dich zu mir, Domenian«, sagte er mit schwacher Stimme.
»Was hast du erleiden müssen, Herr«, sagte Domenian. Er fiel auf die Knie. »Hat dich bisher niemand außer mir besucht?«
»Der Wächter sagte mir, das Kloster San Marco habe sich von mir losgesagt. Es gibt niemanden mehr, der mich unterstützt.«
»Wage nicht, ihm deine Hilfe anzubieten«, drohte der Wächter. »Gib ihm den Segen und troll dich.«
»Was haben sie mit dir im Palazzo Bargello gemacht?«, fragte Domenian leise.
»Sie haben mir die Hände auf den Rücken gebunden und mich immer wieder hochgezogen, dann wieder heruntergelassen, aber so, dass meine Füße den Boden nicht berührten. Die Gelenke brachen. Ich soll gestehen, nie ein Prophet gewesen zu sein, die Herrschaft |364| über Florenz aus Ruhmsucht an mich gerissen zu haben, um mir in der Welt einen Namen zu machen.«
Mit einem Blick auf den Wärter, der zu ihnen herüberstierte, sagte Domenian schnell:
»Ich segne dich, Girolamo Savonarola, und bitte Gott inständig, deine Sünden zu verzeihen, dass du dereinst wirst auferstehen von den Toten. Amen.«
Er schlug das Kreuzzeichen und versprach, am folgenden Tag wiederzukommen. Hastig drehte er sich weg, bevor sein Meister seine Tränen sehen konnte.
|365| 48.
Es war genau so, wie Angelina es vorausgesehen hatte. Ihre Mutter war damit beschäftigt, alles aus den Verstecken zu holen, was man seinerzeit vor den
Fanciulli
gerettet hatte. Da gab es Silberleuchter, Besteck, irdene Schüsseln und Teller, mit Goldrand verziert, sowie Kleider aus Brokat, Samt und Seide, Hüte, Felle, perlenbesetzte Haarnetze, Marmorstatuen, Masken und Kostüme. Wer weiß, in welchen Hohlräumen die Sachen gesteckt hatten! Signor Girondo war am Morgen schon in sein Kontor geeilt, um die Rechnungsbücher noch einmal zu überprüfen und festzustellen, wie viel Verlust die Herrschaft Savonarolas ihm eingebracht hatte.
Angelina war glücklich, wieder bei ihrer Familie zu sein, aber sie sah auch die Schattenseiten. Ihre Eltern würden niemals der Wahrheit ins Gesicht sehen wollen. Sie selbst war mehr denn je entschlossen, der alten Geschichte auf den Grund zu gehen, komme, was da wolle. Sie würde sich an der Ausführung ihrer Pläne nicht mehr hindern lassen, auch von Francesco nicht!
Zu ihrem Erstaunen erregte sie der Gedanke, Domenian Brenetto zu finden und ihn zu stellen. Sie verließ das Haus am Mittag nach dem Essen. Ihre Mutter versuchte nicht mehr, sie an etwas zu hindern. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass Angelina ihr noch einmal
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