Die Hure Und Der Moench
entfernt war, und Gemüse und Käse habe ich in der Via Nuova gekauft«, erwiderte sie. Beim Gebet vor dem Essen murmelte sie die Worte zwar mit, fühlte sich aber wie eine Lügnerin. Während des Essens kam Signora Girondo auf das Porträt zu sprechen, das Francesco von Angelina angefertigt hatte.
»Hast du gewusst, dass ein Mönch es in die Flammen des ›Fegefeuers‹ geworfen hat?«, fragte sie ihre Tochter.
»Wer hat Euch das erzählt, Frau Mutter?«, wollte Angelina wissen.
»Ich war kürzlich bei Botticelli und wollte es abholen, nachdem der Meister uns so lange vertröstet hatte. Er aber sagte mir, dass es vernichtet worden sei.«
»Francesco hat es gerettet«, sagte Angelina. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
|373| »Und wo befindet es sich jetzt?«, schaltete sich Signor Girondo ein.
»Bei Tomasio Venduti, dem Nachbarn von Rinaldo«, gab Angelina zurück.
»Tomasio Venduti kennen wir, aber wer ist Rinaldo?«, fragte ihre Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Da bin ich im Herbst untergekommen, als ich dachte, Ihr hättet mich verstoßen«, antwortete Angelina.
»Du hast doch nicht …«
»Gar nichts habe ich!«, rief Angelina und sprang auf. »Ihr seid nur immer auf meine Tugend und meinen guten Ruf bedacht. Wie es in mir drinnen aussieht, könnt Ihr in Euren schlimmsten Träumen nicht ahnen!«
»Dein Freund Francesco war übrigens hier und hat nach dir gefragt«, hörte sie ihren Vater sagen. Sie lief aus der Tür, schlug sie hinter sich zu und rannte blind die Treppe hinunter. Francesco war hier gewesen? Er wollte sie gewiss nur von dem abhalten, was sie zu tun im Begriff war.
Angelina lief durch die Gassen zur Piazza della Signoria. Dort warf sie einen Blick auf Tomasio Vendutis Tuchgeschäft. Eine Gruppe von jungen Männern unterhielt sich in ihrer Nähe. Sie warfen immer wieder verstohlene Blicke zu ihr herüber.
»Heute ist Savonarola wieder dreimal hochgezogen worden«, sagte einer.
»Ich konnte seine Schreie bis auf den Platz des Domes hören. Aber er hat noch nicht gestanden, sagte man mir.« Er äffte die Stimme des Priors nach. Bald spielten die jungen Männer eine Szene, in der Savonarola von der Kanzel herab predigte.
»Die Doppelrechtser werden in den Himmel kommen, die Doppellinkser in die Hölle!«
»Wo wirst du nun dein Haupt zur Ruhe betten, Savonarola, he?«, rief ein anderer. »Du bist doch selbst ein Doppellinkser geworden!«
Dieser Savonarola war ebenfalls vom Teufel besessen, das hatte Angelina schon lange geahnt. Langsam bewegte Angelina sich auf |374| den Dom zu. Sie wünschte, Gott würde ihr diese Prüfung ersparen. Ein Satz aus dem Psalm 31 fiel ihr ein.
›Herr, sei mir gnädig, denn mir ist angst; meine Gestalt ist verfallen vor Trauern, dazu meine Seele und mein Leib.‹ Sie setzte einen Fuß vor den anderen, wollte sich umdrehen und weglaufen, aber es war, als ziehe eine stärkere Macht sie voran. Angelina war nicht mehr Herrin ihrer Sinne. So befahl sie ihre Seele in die Hand Gottes und betrat den Dom Santa Maria del Fiore von Florenz. Zum Weglaufen war es zu spät.
Der riesige Raum schien mit einem Raunen und Wispern erfüllt, obwohl nur wenige Menschen sich darin aufhielten. Angelina tauchte die Hand ins Weihwasser und bekreuzigte sich. Das hatte sie immer so gemacht, doch jetzt wurde sie stutzig. Konnte sie sich denn bekreuzigen, wenn sie vom Teufel besessen war? Ihr Kopf begann klarer zu werden, ihre Beine wurden kräftiger. Sie konnte immer noch umkehren. Welches war der richtige Weg? Gott, gib mir ein Zeichen!, flehte sie. Die Glocken des Doms begannen zu läuten, erst vier-, dann dreimal. Es war also die dritte Stunde des Nachmittags. Angelina blinzelte. War dies nun ein Gotteshaus oder das Haus des Teufels? Hatte nicht Lorenzo de’ Medici Künstler beauftragt, diese Kirche zu bauen? Und war nicht auch ihr Vater immer schon als Freund der Medicis bekannt gewesen?
Die Bilder, das, was sich vor einem Jahr zugetragen hatte, stürzten über Angelina herein. Sie sah sich mit Fredi tanzen, hörte den Lärm an der Tür, sah die
Fanciulli
davorstehen und mit ihrem Vater streiten. In diesem Augenblick musste sich der Mörder hinten durch den Garten hereingeschlichen haben.
Wahrscheinlich war er sogar mit den
Fanciulli
gekommen. Natürlich: Derjenige, der Fredi getötet hatte, war dieser Priester, der auf sie wartete. Er musste es sein, der sie die ganze Zeit verfolgte. Sie wusste nicht, warum, aber eines wusste sie jetzt mit Gewissheit: Er war
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