Die Hure Und Der Moench
hin, sie quietschte in den Angeln, dann war es wieder still. Angelina beschloss, das Essen nicht anzurühren. Wenn sie doch wüsste, ob Francesco nach ihr suchte! Vielleicht war er schon ganz in der Nähe. Sie sehnte sich nach ihm und hoffte gleichzeitig, er würde Domenian nicht in die Arme laufen. Sie war ein Mensch, der anderen gefährlich werden konnte. Hatte sie nicht Fredi in Gefahr gebracht und seinen Tod verschuldet ebenso wie den von Matteo und Eleonore? War etwa sie selbst, sie ganz allein schuld an allem? War sie wirklich eine Hexe, war sie eine Hure?
Domenian hatte recht. Sie war schon als Kind anders als die anderen gewesen. Diesen jungen Mann auf der
Festa Sagra
hatte sie mit einem Blick ihrer Augen betört und damit sein Todesurteil gesprochen. Er war hingerichtet worden, und sie hatte dabei geholfen, ihn zum Tode zu befördern! Sie weinte still in sich hinein. Hatte sie nicht einmal sagen hören, dass Hexen keine Tränen hätten? Dass Francesco damals fast zu Tode geprügelt worden wäre, war ebenfalls ihre Schuld. Denn sie, Angelina, hatte ihn dazu verführt, das Bild mit dem sündigen Gewand zu malen. Der Teufel in ihr hatte ihn dazu angestiftet. Und in ihren Augen, in den ganzen Zügen dieses Bildes lag ein dämonischer Ausdruck, das war doch der Beweis! Später hatte sie Matteo dazu verführt, sich ihr unsittlich zu nähern. Sie würde ihre Schuld, die sie in die Hölle bringen würde, nur büßen können, wenn sie Domenian alles gestand. Nein, sie würde das Essen und das Getränk nicht anrühren, sie wollte nicht mehr zum Hexensabbat fliegen. Stattdessen würde sie ihre gerechte Strafe bekommen. Es war einerlei, ob jemand nach ihr suchte. Es war eins, ob sie gefunden und gerettet wurde. Jetzt konnte nur noch Domenian sie retten. Sie kroch zu der Kanne hinüber und spähte im Schein der Lampe hinein. In dem Krug war schwarzes, schäumendes Bier. Die Bilder stürzten auf sie herab. Der Flug zu dem Berg, die Teufel, die Männer, Frauen und Kinder, das Essen, |406| der Oberste auf dem Gipfel. Angelina erinnerte sich. Mit einer Salbe hatte der Mann sie damals eingestrichen und sie später gefragt, was sie mit dem Teufel getrieben hätte. Der Junge neben ihr hatte mit großen Augen zugeschaut, wenn Domenian Angelina verhörte, sie und sich selbst dabei anfasste und stöhnte. Schließlich hatte Domenian ihr befohlen, seinem Bruder mit einer Nadel ins Herz zu stechen, dadurch würde er vom Teufel befreit. Dabei stieß er unentwegt Gebete aus und sang Kirchenlieder. Und sie hatte es getan! Sie zuckte zusammen bei der Erinnerung. Durch diese Tat war sie, Angelina, verdammt in alle Ewigkeit und würde in der tiefsten Hölle schmoren. Es gab keinen Weg zurück.
|407| 52.
Francesco biss sich verzweifelt in den Handballen. Er musste Angelina finden, koste es, was es wolle! Doch wo sollte er noch suchen? Die Weinkeller in der Umgebung hatten sich als Fehlschlag erwiesen. Mutter Elisa war ins Kloster zurückgekehrt. Sie stand am Tor, zusammen mit ihren Nonnen, und segnete ihn zum Abschied. »Gott möge Euch beschützen und Euch das Glück geben, Angelina zu finden«, sagte sie.
Francesco ritt durch das Örtchen Fiesole. Dabei kam er am Haus von Fra Angelico vorbei. Dieser große Maler und Mönch hatte doch die Zellen in San Marco mit Fresken verziert. In Gedanken versunken ritt er weiter. Hühner gackerten, Hunde streunten durch die Gassen, und Kinder spielten mit Murmeln. Francesco erreichte das Landgut der Girondos. Hier hatte vor einem Jahr das Frühlingsfest der Familie Angelinas stattgefunden. Er ließ sein Pferd anhalten, stieg ab und band es an einen Baum. Da war der Garten mit dem Brunnen, neben dem man Fredi erstochen aufgefunden hatte. Francesco überlegte, wer damals an der Gesellschaft teilgenommen hatte. Außer Angelinas Eltern und Geschwistern waren es Leute gewesen, die er nicht kannte. Doch einen hatte er gekannt: Tomasio. Wer verbarg sich eigentlich hinter diesem Kaufmann, der Angelinas Bildnis so bereitwillig in Verwahrung genommen und sich nun damit davongemacht hatte? Hatte er etwas mit den Morden und mit Angelinas Verschwinden zu tun?
»Buongiorno«
, ertönte eine Stimme. Francesco fuhr herum. Es war Angelo Nicolini, der Wachtmeister aus dem Dorf. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, er schnaufte heftig. »Was treibt Ihr hier am helllichten Tag? Die Herrschaften sind nicht anwesend.«
»Das weiß ich, Signor Nicolini«, entgegnete Francesco. »Vielleicht |408| könnt Ihr mir helfen.
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