Die Hure Und Der Moench
dem Hinterstübchen des Ladens verbringen.«
»Warte nur, eines Tages werden dich deine Eltern wieder aufnehmen«, tröstete Sonia Angelina. »Die Pest hat gewiss ihre Herzen verhärtet.«
|182| »Das glaube ich auch«, meinte Lucas. »Vertraue auf Gott, Angelina!«
Lucas schloss das Geschäft, ein notdürftiges Bett wurde für Angelina hergerichtet. Abends, nachdem Perpita ins Bett gebracht worden war, saßen sie noch im Gespräch zusammen.
»Ich muss immer wieder an die Geschichten denken, die wir uns gegenseitig erzählt haben«, sagte Sonia versonnen.
»Jeder von uns hat Sünde auf sich geladen«, stellte Lucas fest. »Und ich bete jeden Tag darum, dass uns nicht dasselbe Schicksal ereilen möge wie Matteo.«
»Oder wie Fredi, meinen auserwählten Gatten«, antwortete Angelina.
»Ich habe Angst«, sagte Sonia. »Savonarola hat wieder an Macht gewonnen. Die Signoria und große Teile des Volkes stehen nach wie vor hinter ihm!«
»Wie können wir uns schützen?«, fragte Angelina die beiden Freunde.
»Girolamo Savonarola hat nicht nur dazu aufgerufen, das Predigtverbot und die drohende Exkommunikation in den Wind zu schlagen, sondern auch dazu, andere mit aller Härte zu seiner Lehre zu bekehren«, meinte Lucas. »Wer jetzt noch mit Spitzenkragen, einem Pelz oder einer Perlenkette auf der Straße angetroffen wird, dessen Leben ist in Gefahr. Die
Fanciulli
reißen diese Dinge herunter, verprügeln die Menschen oder schleifen sie vor die Signoria und lassen sie in den Kerker werfen und foltern.«
»Warum tragen die Frauen dann wieder ihren Schmuck, warum lassen sie ihre Locken unter den Hüten hervorblitzen?«, fragte Angelina verwundert.
»Ich glaube, sie haben es einfach satt«, murmelte Sonia.
»Es ist ein Kampf, den der gewinnen wird, der das Volk letztendlich auf seiner Seite hat«, erklärte Lucas.
»Wir dürfen auf keinen Fall Aufmerksamkeit erregen«, bemerkte Angelina. »Müssen uns mit Bedacht und einfach kleiden.«
|183| Angelina stockte der Atem. Sie war, in ihren einfachen schwarzen Mantel gehüllt, zum Markt gegangen, um Fleisch und Schmalz für das Mittagessen einzukaufen, als sie mitten in der dunklen Menge ein wohlvertrautes Gesicht erspäht hatte. Francesco kam auf sie zu. Ihr erster Gedanke war, sich umzudrehen und wegzulaufen, aber es war schon zu spät.
»Angelina« sagte er und nahm ihre Hände. In diesem Augenblick schmolz aller Widerstand dahin. Die Marktgeräusche verstummten.
»Francesco, wie froh bin ich, dich wiederzusehen!«, brachte sie hervor.
»Komm hier weg«, meinte er, »wir sollten nicht zusammen gesehen werden.«
»Warum nicht?«
»Du weißt, dass Botticelli ein Anhänger Savonarolas ist«, antwortete er im Gehen. »Wegen des Bildes von dir haben wir uns fast schon wieder entzweit.«
»Du hast es doch nach allen Regeln der Schicklichkeit gemalt?«, fragte Angelina.
Er lachte. »Ich habe es so gemalt, dass es dir und deiner Schönheit gerecht wird.«
»Wo ist es jetzt?«, wollte sie wissen.
»Ich wohne noch bei meinem Meister«, gab er zurück. »Dort habe ich es aufbewahrt. Ich würde gern ein Zimmer in der Stadt nehmen, habe aber nicht die Mittel dafür, auch nicht für eine eigene Werkstatt.«
»Gehen wir jetzt … zu dir?«
»Ja, es gibt sonst keinen Platz, an dem wir ungestört reden können.«
Angelina wäre am liebsten umgekehrt, aber etwas zog sie wie an unsichtbaren Fäden vorwärts. Immer wieder schaute er sie glücklich von der Seite her an. Die beiden überquerten einige Plätze und kamen bald zu Francescos Wohnung in Botticellis Haus. Sie stiegen die ächzende Holztreppe hinauf. Die Einrichtung des Zimmers |184| war ärmlich, aber sauber. Francesco nahm ihr den Mantel ab und bot ihr Platz in einem Sessel. Er setzte sich ihr gegenüber. Wie lange war es her, dass sie von Grassina zurückgeeilt war, um an Francescos Seite zu sein! Hier hatte sie ihn gepflegt, während draußen die Welt unterging, von hier waren sie aufgebrochen zu dem Landgut, und dennoch, wie einfach schien das Leben damals im Vergleich zu den jetzigen Umständen!
»Erzähl mir, was am Lago Trasimeno geschehen ist«, forderte er sie auf.
»Ich hatte Angst und ich wollte nach Hause, zu meiner Familie.« Angelina räusperte sich. »So bin ich erst einmal zu meiner Tante Bergitta in Arezzo gegangen. Sie hat dort ein kleines Weingut. Als die Weinhelfer kamen, reiste ich nach Florenz zurück.«
Francescos Augen waren dunkel.
»Warum sagst du mir nicht die Wahrheit? Du bist
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