Die Hure Und Der Moench
bestieg den Wagen, der sie mit ihrem wenigen Gepäck nach Florenz bringen sollte. Zum Abschied drückte ihr Bergitta noch einen kleinen Beutel mit Geld in die Hand.
»Das ist für deine Hilfe im Weinberg«, sagte sie zwinkernd. Während sie durch das Arnotal rollte, dachte Angelina daran, wie sie mit den anderen aufgebrochen war, um der Pest zu entgehen. Was aber hatte sie wirklich gewonnen durch diese Flucht? Im Grunde war alles, was je bestanden hatte an Liebe, Freundschaft und Lebensmut, zerstört worden. Womit hatte das alles angefangen? Doch nicht mit dem Bild? Plötzlich fragte sie sich voller Angst, ob ihre Familie überhaupt noch lebte. Würde sie vielleicht einmal enden wie ihre Mutter? Nichts auf der Welt wäre ihr im Augenblick lieber gewesen als ein Mensch, mit dem sie hätte reden können. Aber ihre Tante Bergitta entfernte sich mit jeder Meile mehr, und der Kutscher, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, antwortete nur einsilbig, wenn sie das Wort an ihn richtete. Sie kamen nun in Gefilde, die von der Pest stärker heimgesucht worden waren. Immer wieder sah sie Felder, auf denen die Ernte verdorben war, niemand hatte hier arbeiten können während der letzten Monate. Sie passierten silbrige Olivenhaine, deren Boden mit verrotteten Oliven bedeckt waren. Kleine Weiler mit verlassenen grauen Häusern glitten |178| vorüber; die Weinberge glänzten in gelbroter Pracht. Der süßliche Geruch des Todes wurde überlagert von dem der Feuer, die überall angezündet worden waren, wie um die letzten Gedanken an das Furchtbare zu vertreiben.
Zwei Tage später erreichten sie Florenz. Vor dem Stadttor lagen noch einige Sterbende, Angelina zwang sich, nicht hinzusehen. Doch als sie in die Straßen mit den hohen, fast fensterlosen Häusern und Palazzi einbogen, sah sie, dass die Stadt sich von dem Angriff der Seuche erholt hatte. Nach den drei heißen Sommermonaten war die Pest fast über Nacht verschwunden.
Die Reichen waren mit Wagenladungen ihrer Schätze zurückgekommen; überall drängten sich Bettler, Bauern, Handwerker, Hungernde. Zwar zogen noch immer die
Fanciulli
durch die Gassen und sangen ihre Lieder, doch war ein anderer Ton in das Leben gekommen. Die Spötteleien der
Compagnacci
wurden mit Faustschlägen und Fußtritten beantwortet. Savonarolas Anhänger waren ungeduldiger geworden, seine Gegner aber auch. Angelina sah Menschen mit aufrechtem Gang, nicht mehr diese verhuschten Gestalten, sah hier und da auch Locken unter Kapuzen hervorblitzen, sah Perlenketten und schamhaft geschminkte Münder von Frauen. Je mehr sie sich dem Haus ihrer Eltern näherten, desto mehr klopfte Angelinas Herz. Was würde sie erwarten? Wohnte inzwischen jemand Fremdes darin? Würde ihr jemand sagen können, wohin es ihre Familie verschlagen hatte? Das Haus wirkte so, als hätte Angelina es gerade erst verlassen. Aber wie viel Zeit lag zwischen diesem Moment und ihrer Rückkehr heute, wie viel war seitdem geschehen! Mit weichen Knien entstieg sie dem Wagen und entlohnte den Kutscher. Sie schulterte ihr Bündel und trat zur Tür, um den Klopfer zu betätigen. Ein Hundebellen war die Antwort. Nach einiger Zeit wurde die Tür vorsichtig geöffnet. Ein fremdes Mädchen in der Kleidung einer Magd steckte seinen Kopf heraus.
»Was wollt Ihr?«, fuhr das Mädchen Angelina an.
»Ich bin die Tochter von Lorenzo und Lukrezia Girondo«, entgegnete Angelina.
|179| »Wartet.« Das Mädchen verschwand im Inneren des Hauses. Kurz darauf kehrte es mit schnippisch erhobener Nase zurück.
»Meine Herrschaft wünscht Euch nicht zu sehen. Ihre Tochter sei vor einem halben Jahr mit einem Maler davongelaufen und lebe seitdem in Sünde.«
Angelina war es, als verliere sie den Boden unter den Füßen. So weit hatte sie es also gebracht mit ihrer Selbstsucht! Jetzt brauchte sie sich nicht zu wundern, dass ihre Eltern sie nicht mehr aufnehmen wollten.
Die Tür wurde zugeschlagen. Angelina stand wie vom Donner gerührt. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, das im Wald ausgesetzt worden war. Ihre Arme und Beine waren wir gelähmt. Sollte sie sich auf die Stufe vor dem Haus setzen und so lange warten und weinen, bis sich jemand aus der Familie ihrer erbarmte? Wohin sollte sie gehen in dieser Stadt, die ihr schon fremd geworden war? Angelina fasste nach ihrem Benediktuspfennig, den ihr die Tante gegeben hatte. Wenn sie doch bei ihr geblieben wäre! So sorglos wie bei Bergitta hatte Angelina sich schon lange nicht mehr gefühlt. Angelina
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