Die Hure Und Der Moench
wandte sich zum Gehen, konnte aber nicht verhindern, dass ihr die Tränen die Wangen hinabrannen. Verschwommen nahm sie die Gesichter der Menschen wahr, die an ihr vorübergingen. Schließlich fand sie sich vor dem Dom Santa Maria del Fiore wieder.
Sie betrat das Gotteshaus. Wie immer war sie von der Größe des Kirchenraumes gebannt. Angelina schaute einen Herzschlag lang zur Kuppel empor. Sie ging zu einer Pietà an der Seite der Kirche, um zu beten.
»Heilige Mutter Gottes«, murmelte sie, »Maria, hilf mir aus meiner Not. Ich habe gesündigt, ich habe alles zerstört, was mir lieb und wert war, aber ich wusste es doch nicht besser, handelte in der Eigenmächtigkeit meiner Sinne. Nimm diese Strafe von mir, ich flehe dich an! Ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um es wiedergutzumachen.«
Die Madonna blickte weiterhin sorgenerfüllt auf ihren Sohn hinab, |180| den sie in den Armen hielt. Was ist mein Schmerz schon gegen den dieser Mutter, dachte Angelina. Sie erhob sich, knickste vor dem Bild und ging langsam zum Ausgang der Kirche. Hier, in diesem Dom, war Giuliano de’ Medici hinterrücks erstochen worden, sein Bruder Lorenzo entging nur knapp einem Attentat. Was war das nur für eine Zeit, in die sie hineingeboren worden war! Intrigen, Morde, Hinterhältigkeit – gab es überhaupt noch jemanden, dem sie trauen konnte?
Die Blicke der Menschen, die an ihr vorübergingen, schienen Angelina feindselig. Jeder war ein möglicher Feind, jeder konnte ihr ans Leben wollen, und sei es, um ein paar ihrer Soldi zu ergattern. Angelina verließ die Kirche, trieb dahin, sie wusste nicht mehr, in welche Richtung sie gegangen war. War es so, wenn das Leben allmählich zu Ende ging, man sich den Gefilden des Todes näherte? An den Ecken brannten Feuer. Männer und Frauen brieten in großen Pfannen Fleisch und Maronen. Angelina verspürte Hunger. Sie hielt einem Mann drei Soldi hin und bekam dafür ein Stück Braten, in Mangoldblätter gewickelt. Nachdem sie gegessen und sich das Fett von den Fingern gewischt hatte, schaute sie sich um. Ihr Standort musste ganz in der Nähe der Via Nuova sein. Diesen Namen wollte sie nie mehr denken, geschweige denn aussprechen. Aber falls die kleine Gruppe vom Lago Trasimeno zurückgekehrt war, müssten Sonia und Lucas ebenfalls wieder hier sein. Angelina bog in die schmale Gasse ein.
Die Gerber waren an der Arbeit, es roch wie ehedem nach Beize. Da stand das Haus Botticellis mit seiner Werkstatt. Angelina wandte ihre Augen schnell zu Lucas’ Gemüseladen. Die Nachmittagssonne fiel schräg auf die Auslagen mit Fenchel, Äpfeln, späten Birnen, Bohnen, Wirsing und Steinpilzen. Angelina trat in den Laden. Sonia bediente gerade einen Kunden. Sie war schmaler geworden. Als sie Angelina erblickte, stieß sie einen unterdrückten Schrei aus.
»Du hier, Angelina! Wir dachten schon …«
Was sie wohl gedacht hatten?
|181| »Ich muss erst meinen Kunden bedienen, dann rufe ich Lucas«, meinte Sonia, nachdem sie sich von der ersten Überraschung erholt hatte. Der Mann verließ den Laden mit einem Korb voller Gemüse und Pilze.
»Lucas, komm doch mal!«, rief Sonia, zur Rückseite des Ladens gewandt. Dann nahm sie Angelina in die Arme, drückte und küsste sie. Der Gemüsehändler erschien; auch er hatte an Gewicht abgenommen. Seine Augen leuchteten auf.
»Wie schön, dich zu sehen, Angelina!«, sagte er und drückte ihr fest die Hand. »Wir dachten schon, dir wäre etwas zugestoßen!«
Sie setzten sich in den Hinterraum und erzählten gegenseitig, wie es ihnen ergangen war.
»Willst du nicht wissen, was aus Francesco und Eleonore geworden ist?«, fragte Sonia.
Angelina hätte sich fast auf die Zunge gebissen.
»Doch … wie geht es ihnen?«
»Francesco ist wieder drüben bei seinem Meister«, entgegnete Sonia. »Und Eleonore ist mit den Kindern in ihr Stadthaus zurückgegangen.«
Die Erinnerung schmerzte noch. Doch immerhin waren sie alle am Leben.
»Meine Eltern haben mich von ihrer Tür gewiesen«, sagte Angelina. Sie kämpfte wieder mit den Tränen. »Kann ich bei euch unterkommen?«, fragte sie.
Lucas und Sonia schauten sich ein wenig betreten an.
»Das sind aber feine Eltern«, schimpfte Sonia. »Wenn sich Signora Girondo nicht meiner und meines Kindes angenommen hätte, würde ich jetzt in Gedanken auf sie spucken!«
»Wir haben nur die eine kleine Kammer«, meinte Lucas. »Und die teilen wir uns mit Perpita, unserer Tochter. Aber du kannst ein paar Nächte in
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