Die Hure Und Der Moench
offensichtlich schöne Augen. Angelina kam in den Sinn, was ihre Tante über ihre Mutter erzählt hatte. Ob sie, Angelina, auch einmal so enden würde? Am liebsten wäre sie auf der Stelle wieder gegangen. Aber wohin? Ihr Geld würde nicht reichen, um ein eigenes Zimmer zu nehmen.
»Das Mädchen ist vertrauenswürdig«, hörte sie den Wirt sagen, nachdem er den Brief gelesen hatte. Er stellte sich als Rinaldo Boni vor. Sein vorher abwehrender Gesichtsausdruck war einer fröhlichen Miene gewichen.
»Gratiosa und Verena«, rief er den beiden geschminkten Mädchen zu. »Kommt doch her und begrüßt Angelina, unseren hübschen neuen Gast. Oder soll ich sagen: unsere neue Hilfskraft?« Er schaute Angelina dabei aus so treuherzigen Augen an, dass sie sich nichts Böses dabei denken konnte. Hier würde sie vielleicht endlich zur Ruhe kommen und sogar mit ihrer eigenen Hände Arbeit Geld |198| verdienen, was sie noch nie in ihrem Leben hatte machen müssen. Bisher war ihr so etwas immer undenkbar erschienen. Wieso plötzlich nicht mehr? Tante Bergitta war schuld daran, fiel ihr ein, und sie musste lächeln.
»Pallina, bring Angelina einen Teller mit Rindssuppe«, wies Rinaldo das Schankmädchen an. Angelina setzte sich an einen der freien Tische. Gratiosa und Verena kamen näher und setzten sich dazu. Die Männer, mit denen sie gescherzt und getrunken hatten, murrten, winkten dann Rinaldo, dass sie zahlen wollten. Mit viel Getöse und lauten Flüchen verließen sie die Schänke. Rinaldo lief hinter ihnen her und bat sie immer wieder, ruhig zu sein. Pallina hatte inzwischen eine große Schüssel Suppe aufgetragen, und Angelina aß mit gutem Appetit. Rinaldo ließ sich mit einem Seufzer auf einen Stuhl fallen.
»Ach, es ist wahrlich schwer, sein Auskommen zu haben in diesen Zeiten«, seufzte er. Sein brauner Schnurrbart glänzte. »Und ich möchte nicht, dass meine Mädchen den Pfad der Tugend verlassen.«
»Ach – sind sie alle drei Eure Töchter?«, fragte Angelina scheinbar erstaunt.
»Ja«, gab Rinaldo zur Antwort. »Und es macht mich traurig, dass sie mit den Herren freundlich tun müssen, um sie zum Trinken zu ermutigen. Ich habe nichts anderes gelernt, als Wirt zu sein, und nachdem Savonarola die Glücksspiele verboten hat, ging es bergab mit uns. Nur noch heimlich können wir diese Wirtschaft betreiben. Als meine Frau noch lebte, war es eine gutgehende Speisewirtschaft.«
»Ist Eure …«, fragte Angelina.
»Ja, sie ist an der Pest gestorben.« Seine Augen wurden feucht. Angelina kam ein Gedanke.
»Ich habe bei meiner Mutter kochen gelernt«, sagte sie. »Könntet Ihr mich nicht in der Küche anstellen?«
»Wollt Ihr das wirklich machen?«, rief Rinaldo und strahlte sie an.
»Was haltet ihr davon, Kinder?«
|199| »Das würde mir gefallen!«, sagte Pallina. »Dann hätte ich endlich etwas Hilfe!«
»Oh ja, dann gibt es vielleicht mal etwas anderes als Rindssuppe und Fisch«, meinte Gratiosa. Verena, anscheinend die Jüngste, nickte dazu.
Alle drei Mädchen hatten schwarze Haare, bei Pallina lockten sie sich um ein hellhäutiges, herzförmiges Gesicht, Gratiosa trug sie zu einer Schnecke aufgebunden und Verena hatte eine Leinenhaube darübergezogen, aus der ein paar vorwitzige Löckchen sprangen.
»Wenn ich ausgehe, trage ich ebenfalls eine Haube oder Kapuze«, sagte Pallina schnell, als sie Angelinas Blick bemerkte.
»Woher bekommt Ihr eigentlich die Lebensmittel?«, fragte Angelina den Wirt zwischen zwei Löffeln.
»Mein Bruder lebt auf dem Land«, erwiderte Rinaldo. »Dort haben wir auch zusammen die Pest überlebt. Fast alle.«
»Was könnt Ihr denn kochen?«, fragte Pallina, wie um den Vater abzulenken von seinem Schmerz. Angelina überlegte einige Augenblicke lang. Die Stunden gingen ihr durch den Sinn, die sie mit ihrer Mutter in der Küche verbracht hatte. Was waren das noch für Zeiten gewesen! Angelina riss sich von den Bildern los und zählte auf:
»Hühner-Leberpastete, nackte Ravioli,
Ribollita
, Brotsuppe, Kutteln,
Stracotto
,
Baccala, Lesso
mit Salsa Verde, Traubenbrot, Kastanienkuchen …«
Rinaldos Augen glänzten, und die Mädchen leckten sich die Lippen bei Angelinas Worten.
»Einiges davon hat auch meine Frau gekocht«, sagte Rinaldo versonnen. »Ich habe es nachher nicht mehr fertiggebracht, und meine Töchter sind nicht dafür gemacht.«
»Doch kann ich kochen, Herr Vater«, protestierte Pallina. Ihre Schwestern kicherten, offensichtlich hatten sie dazu eine andere
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