Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
anhalten.
Der Weg führte zu einem Gatter auf ein offenes Feld, auf dem ein Dutzend Pferde grasten. Da die Wiese von Bäumen umringt war, wusste sie nicht genau, in welcher Richtung die Burg lag. Eine Scheune am Ende des Feldes war das Einzige, was ihr vielleicht helfen konnte. Sie hoffte nur, dass das Tor nicht verschlossen war.
Als sie dort ankam, lag ein Balken davor. Lena hob ihn mit letzter Kraft an und schlüpfte durch das Tor.
Drinnen war alles voller Heu und Gerätschaften, um dieses einzuholen. Links stand ein Ochsenkarren, und daneben führte eine Leiter nach oben. Sie griff sich eine Sichel und hechtete die Leiter hinauf. Als sie noch nicht ganz oben war, wurde das Tor aufgerissen, und ihr Verfolger kam herein.
»Ha! Nun sitzt du in der Falle«, rief er und zog das Tor hinter sich zu. »Du bist doch einfältiger, als ich gedacht habe.«
Lena sah sich hektisch um. Auch hier oben lagen einige Heuballen. Schnell versteckte sie sich hinter einem. Seine Schritte näherten sich der Leiter, dann knarrte die erste Sprosse. Lena duckte sich, die Sichel fest in der Hand. Sie war schwer, gab ihr aber das Gefühl, nicht vollkommen wehrlos zu sein.
»Du musst mir noch verraten, wie du auf mich gekommen bist.« Eine weitere Sprosse knarrte.
Sich hier zu verstecken, war eine dumme Idee. Er würde sie mit zwei, drei Schritten gefunden haben. Sie saß tatsächlich in der Falle.
Noch eine Sprosse knarrte.
Ohne weiter nachzudenken, sprang Lena auf und ging auf die Leiter zu. Ludwig Hastedt hatte sie bereits zur Hälfte erklommen.
»Ah. Nun können wir uns wenigstens einmal in Ruhe in die Augen sehen.« Er grinste und blieb stehen.
»Wage es nicht, weiter hochzukommen.« Bedrohlich fuchtelte Lena mit der Sichel. Aus ihrer Kindheit wusste sie wenigstens, wie sie zu benutzen war, wenn auch nur, um Heu damit zu ernten.
»Tja, dann sollte ich wohl hier verweilen, bis du runterkommst.«
»Sag mir, wo mein Kind ist. Bitte.« Lena versuchte es in einem flehenden Ton, doch er schüttelte nur den Kopf.
»Tot, würde ich meinen.«
Es war, als würde die Welt gerade einen riesigen Schlund öffnen, in den Lena hineinzustürzen drohte. Schwindelig ließ sie sich auf die Knie fallen. »Nein.« Sie versuchte trotz allem, überzeugend zu klingen. »Sie ist nicht tot. Das weiß ich.«
»Dann bist du ein gutgläubiges Mädchen und solltest weiter glauben.«
»Was hast du mit ihr getan?«
»Sie in die Weser geworfen.«
Lena wurde schwarz vor Augen. Sie kippte nach vorn, während sich unten erneut das Tor öffnete.
Als Lena die Augen aufschlug, stieß Ludwig Hastedt gerade einen erschrockenen Schrei aus. »Wer …« Er starrte Constantin Mindermann an, verzog noch das Gesicht zu einem schiefen Lächeln und sackte dann unendlich langsam in die Knie. »Du!«
»Nein!«, schrie Lena und fuhr auf, wobei ihr Kopf dröhnte. »Nein!« Sie wollte etwas tun, musste etwas tun. Dieser Mann durfte nicht sterben, ehe er ihr nicht die Wahrheit über ihre Tochter gesagt hatte. Sie wollte den Mann retten und stürzte auf ihn zu, doch Laurenz hielt sie zurück. Flehend blickte sie zu ihm auf.
»Aber er ist der Einzige, der weiß, wo Veronika ist.«
Ratsherr Mindermann sank neben Ludwig Hastedt in die Knie und hob behutsam dessen Kopf an, der aus einer Wunde blutete. »Bruder! Warum? Bei Gott, warum nur?«
Constantin Mindermann war verzweifelt und streichelte unendlich zärtlich das Haar seines Bruders.
Kapitel 18
Als Lena aufwachte, lag sie in einem Zelt, ihre Mutter war bei ihr und betupfte ihr die Stirn mit einem feuchten Tuch. Nun lächelte sie erleichtert.
»Danke, Heilige Jungfrau«, sagte sie und küsste die Hand ihrer Tochter. »Mein Kind.«
Schlagartig war die Erinnerung wieder da. Veronika, tot. Tot. Tot. Verzweifelt brach sie in Tränen aus.
»Wein nur, wein, so lange und so viel du willst. Manchmal hilft es.«
Und Lena weinte, bis sie vor Erschöpfung zurück ins Kissen sank und einschlief. Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, war sie allein. Die Sonne stand tief, und sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Stunden oder Tage? Sie fühlte sich leer, und ihr Mund war trocken.
Neben ihrer Pritsche stand ein Krug mit Wasser. Hastig trank sie, bis sie ihn nach Atem ringend abstellte. Die Geschehnisse sausten an ihrem geistigen Auge vorbei. Immer noch konnte sie nicht glauben, dass ihr Kind tot sein sollte. Eine Mutter müsste das doch spüren, oder nicht?
Thomas fiel ihr ein. Erschrocken, ihn vollkommen
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