Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
nach oben zu schaffen, denn das Feuer kam aus dem Raum der Hausherrin. Es war ein dichtes Gedränge auf dem Treppenabsatz.
»Ist noch jemand dadrin?«, fragte Lena panisch, nachdem sie die Ratsherrin vergeblich zwischen den Leuten gesucht hatte.
»Wo ist meine Frau?«, fragte auch der Ratsherr, der jetzt die Treppe mit einem Eimer Wasser hinaufkam. Betroffen sahen sich alle um. »Seibold, hast du sie nicht herausgeholt?«
»Ich habe ihr Bescheid gesagt und bin dann zu den Mägden hinauf, als sie aus dem Bett gestiegen ist.« Betreten sah er auf seine Füße, doch das reichte Lena als Antwort.
Sie zögerte nicht länger und kämpfte sich einen Weg durch die Wohnstube. Hier war der Rauch dichter als im Treppengang. Einige Möbel standen bereits in Flammen.
»Bleib hier«, rief Rosa ihr hinterher, doch Lena hörte nicht.
Die Tür zur Schlafkammer von Heide Mindermann stand offen. Das Feuer war hier am schlimmsten und musste hier seinen Ursprung haben.
Lena schwang ihren Umhang über den Kopf und kämpfte sich durch die Flammen. Ihre Augen begannen zu tränen. Sie brauchte einen Augenblick, ehe sie in dem beißenden Rauch etwas sehen konnte. Dann entdeckte sie Heide Mindermann. Sie lag vor ihrem Bett. Lena griff zu, während die Flammen nach ihren Beinen züngelten.
»Wo bist du?«, fragte eine männliche Stimme hinter Lena, und plötzlich waren zwei Männer neben ihr.
»Dort liegt sie!« Lena zeigte auf die Frau, woraufhin die beiden sie hochhoben und hinausbrachten. Draußen im Garten legte man sie auf die feuchte Erde.
Lena fiel neben der Ratsherrin auf die Knie. Sie keuchte und hustete, musste würgen. Irgendjemand reichte ihr Wasser, und sie trank gierig. Als ihre Lungen sich ein wenig beruhigt hatten, beugte sie sich über die Ratsherrin. Ihr Atem ging flach.
»Wir brauchen den Arzt«, wies sie Rosa an, die erschüttert auf die blasse Frau hinabsah.
»Ich habe schon nach ihm geschickt«, sagte der Ratsherr und kniete sich neben seine bewusstlose Frau. »Mein Gott.« Er fuhr sich müde mit der Hand über das Gesicht. Wenn du nicht gewesen wärst … nicht auszudenken.«
Lena schwieg und begann, das rußgeschwärzte Gesicht der Hausherrin mit einem feuchten Tuch abzureiben. Sie fürchtete, dass dieser Mann, der sich jetzt so sorgenvoll gab, das Feuer selbst gelegt hatte.
»Wir stehen tief in deiner Schuld, Lena.«
»Wie ist das Feuer ausgebrochen?«, fragte sie in die Runde.
Alle zuckten mit den Schultern.
»Sicher hat sie in ihrem Zustand das Talglicht umgestoßen, dass wir neben ihrem Bett brennen lassen sollten«, antwortete Rosa, deren Augen noch immer vor Angst geweitet waren.
Oder jemand anderer war es, dachte Lena.
Als der Arzt eintraf, stellte er fest, dass es der Ratsherrin in ein paar Tagen wieder gut gehen würde. Das Feuer war schnell unter Kontrolle und bald gelöscht. Die Mägde verbrachten die Nacht im Stall, die Knechte im Freien, der Ratsherr, seine Frau und Helene kamen bei einem anderen Ratsherrn unter, der mit Mindermann befreundet war.
Obwohl die Nacht recht kurz gewesen war, stand Lena an diesem Morgen als Erste auf. Die Sonne trat gerade über den Horizont, und es versprach ein schöner Tag zu werden, der die Geschehnisse der Nacht verblassen ließ. Die Köchin schnarchte lautstark, und von Rosa war nur ein Haarbüschel zu sehen. Leise ging Lena zwischen den ebenfalls noch schlafenden Männern hindurch und machte sich auf den Weg zu Laurenz.
Vergeblich klopfte sie an seine Tür. Er war vermutlich im Dienst, und sie hatte keine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen. Enttäuscht kehrte sie zurück.
Im Haus roch es noch immer nach verbranntem Holz, obwohl alle Läden weit geöffnet waren. Es würde Tage dauern, ehe die Familie zurückkehren konnte. Als sie in den Wohnbereich trat, schlummerte dort der alte Stallknecht Wilfried. Er hatte die Brandwache übernommen. Lena rüttelte ihn sanft an der Schulter, worauf er die Augen aufschlug und sie müde ansah.
»Geh hinunter an die frische Luft und schlaf noch ein wenig bei den anderen. Ich mache schon mal etwas Ordnung und passe auf, dass das Feuer nicht wieder ausbricht.«
»Danke, Dern.« Mühsam erhob er sich und trottete von dannen.
Lena sah sich um. Alles war voller aufgeweichter oder verbrannter Möbel. Die Wandbehänge waren unansehnlich, teilweise angesengt und rußgeschwärzt. Aber aufzuräumen war nicht in Lenas Sinn – jetzt wo niemand im Haus war, konnte sie endlich ungesehen die Schlafkammer des
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