Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
Ratsherrn in Augenschein nehmen. Vielleicht fand sie dort irgendetwas, das ihr weiterhalf.
Das Feuer war offenbar nicht bis hierher vorgedrungen, denn die Kammer war nahezu unversehrt. Der Raum war schlicht eingerichtet mit einem großen Bett, zwei Truhen, einem Tisch und zwei gepolsterten Stühlen. Ein breites Fenster zum Hof ließ viel Licht herein. Die große Feuerstelle war an der Seite mit Figuren verziert, und die beiden Regale bestanden aus poliertem Holz. Sie waren voller Pergamente. Drei schwere Folianten lagen auf einem Hocker neben dem Bett. An der Wand hing fein säuberlich Mindermanns Amtsrobe.
Dieses Mal hatte Lena keinen Blick für die Bücher, sondern eilte geradewegs zur ersten Truhe und öffnete sie leise. Sie enthielt nur Wäsche. Sorgsam durchsuchte sie die Kleider, fand aber nichts außer einem polierten Schwert mit goldenem Knauf, das unter den Kleidern verborgen war, und einem großen Lederbeutel voller Münzen. Geld hatte der Mann genug. Als Lena sich der zweiten Truhe zuwenden wollte, hörte sie die Stimmen von Helene und Rosa. Ärgerlich rannte sie in die Wohnstube und begann aufzuräumen.
»Herr im Himmel. Es sieht schlimmer aus, als ich befürchtete«, sagte Rosa und schlug sich die Hand an die Stirn.
»Na, so schlümm is datt ock nich. Anne Arbeit, Kinners«, sagte Helene.
Gemeinsam mit den Knechten brachten sie den Hausrat nach draußen, der nicht mehr zu retten war, darunter beinahe die gesamte Einrichtung der Hausherrin. Handwerker tauchten im Laufe des Tages auf, nahmen Maß oder begannen direkt vor Ort mit dem Bau neuer Möbel. Ein Tuchmacher kam mit Wandbehängen aus dickem Stoff, frische Binsenmatten wurden geliefert.
Nach ein paar Tagen war das Haus wieder bewohnbar. Weil aber noch immer ein leichter Brandgeruch im Haus hing, wurden Lavendel und Rosenzweige aufgehängt, Duftwässer in Schalen aufgestellt und alles mit Rosenseife geschrubbt. Am vierten Tag kamen die Ratsleute zurück. Die Hausherrin begab sich sofort in ihre Kammer. Helene verkündete dem Gesinde, dass es ab heute wieder im Haus schlafen würde und die Ratsherrin noch zu krank sei, um aufzustehen.
Der Ratsherr aber richtete ein paar freundliche Worte an sie. »Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet, und mein besonderer Dank gilt Lena, die meine Frau gerettet hat. Wir werden ein Fest feiern, sobald sie sich erholt hat.«
Das Gesinde war begeistert, nur Lena bedeutete das alles nichts, zumal sie bisher keine weitere Gelegenheit gehabt hatte, sich in der Kammer des Ratsherrn umzusehen.
In dieser Nacht schlief Lena schlecht, ihr Magen rebellierte und ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Um die anderen nicht zu wecken, schlich sie leise nach unten. Zu ihrer Verwunderung war noch jemand auf: Herr Mindermann hantierte in der Wohnstube so geschäftig, dass er sie nicht hörte. Er stellte einen Becher vor sich hin und zog einen Lederbeutel aus seiner Rocktasche. Lenas Neugierde hinderte sie daran, sich bemerkbar zu machen. Auf Zehenspitzen huschte sie neben die Tür und spähte um die Ecke, um zu sehen, was er dort tat.
Der Ratsherr gab eine Prise dunklen Pulvers in den Becher und goss es mit Wasser auf. Getrockneter Wolfswurz, schoss es Lena durch den Kopf. Dieser, zu einem Pulver gemahlen, wurde ebenfalls dunkel. Was, wenn es das Gift von Marie war und er es gleich seiner Frau geben wollte? Es wäre eine gute Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen, nun wo sie krank war. Alle würden denken, dass sie an den Folgen des Brands gestorben sei.
Plötzlich drangen aus der Küche Rumoren und leise Stimmen herauf. Einige Dienstboten mussten noch wach sein. Auch der Ratsherr schien es zu hören. Er hielt einen Moment inne und lauschte. Wenn er jetzt zur Tür kam und sie hier stehen sah, dann war es aus. Lena wagte nicht zu atmen. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis er sich endlich wieder seiner Tätigkeit zuwendete.
Mit einem kleinen Holzstab rührte er den Inhalt des Bechers um. Anschließend rollte er den Beutel zusammen, verknotete ihn sorgfältig und ging damit in seine Schlafkammer. Lena hörte das Quietschen des Truhendeckels. Wenn sie etwas unternehmen wollte, dann jetzt. Schnell war sie aus ihren Schuhen geschlüpft und schlich zum Tisch. Das erneute Quietschen der Truhe warnte sie. Blitzschnell goss sie einen zweiten Becher voll Wasser, nahm den verhängnisvollen an sich und eilte hinaus. Keinen Moment zu früh.
Constantin Mindermann ging wieder in die Wohnstube, nahm den neuen Becher und trat auf die
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