Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
gedämpftes Schluchzen zu hören: »Er liebt mich nicht.«
Lena stand auf dem Treppenabsatz und beobachtete, wie der Ratsherr sich schwer auf einen Stuhl fallen ließ und seinen Kopf in die Hände stützte. Unschlüssig hob sie den Becher auf und besah sich das Durcheinander in der Wohnstube. Sie wusste nicht, was sie nun machen sollte, und beschloss, etwas Ordnung zu schaffen.
Leise klaubte sie Kleider und Teller vom Boden, dabei entdeckte sie ein geschnitztes Holzpferdchen. Die Beine und der Schweif waren abgebrochen. Es musste ein richtiges Kunstwerk gewesen sein und erinnerte sie an zu Hause. Ihr Holzpferd war nicht so filigran gewesen, aber sie hätte es nie fertiggebracht, es zu zerstören. »Wie traurig«, murmelte sie, als sie es aufhob und sich nach den fehlenden Stücken umsah.
Der Ratsherr sah auf. »Sie macht sich nichts aus Pferden«, sagte er unvermittelt. »Gefällt es dir?«
»Ich hatte früher auch eins, aber das war nicht so schön«, antwortete Lena etwas unsicher.
»Vielleicht können wir es reparieren, dann soll es dir gehören.«
»Ich fürchte, das wird schwierig, und außerdem ist es viel zu kostbar.«
»Nein, für mein Weib ist es zu kostbar. Du weißt es zu schätzen. Doch nun genug davon. Du kannst morgen hier aufräumen, denn jetzt gehörst du ins Bett. Es tut mir leid, dass du es mitbekommen hast.«
Lena legte das kaputte Pferd vorsichtig auf den Tisch. »Ihr müsst euch nicht entschuldigen. Haltet Eure Frau dem Alkohol fern, den verträgt sie offenbar nicht.«
Erstaunt über ihre Worte legte er den Kopf auf die Seite, und Lena wurde bewusst, dass sie gerade zu weit gegangen war. Derartige Äußerungen standen einer Magd nicht zu. »Verzeiht mir bitte, es wird nicht wieder vorkommen.«
»Ach, du hast ja recht.« Er seufzte. »Sie trinkt, ohne dass ich es mitbekomme. Ich kontrolliere sie, doch manchmal ist es schon zu spät, wenn ich es bemerke. Ich glaube, sie ist nicht glücklich mit mir.«
»Aber sie hat alles, was eine Frau sich wünschen kann.«
»Was wünscht sich eine Frau, Lena? Was wünschst du dir?«
Lena sehnte sich nach Liebe und Geborgenheit, nach Ameisen im Bauch, einem Vater für ihr Kind, der sie beide liebte und den sie lieben konnten. Aber am meisten wünschte sie sich ihre Tochter zurück. Vielleicht war jetzt eine gute Gelegenheit.
»Einen braven Ehemann, ein schönes Zuhause und Sicherheit. Kinder. Eine kleine Tochter mit lockigen Haaren.«
»Kinder sind etwas Wertvolles.« Er seufzte. »Ich werde noch einmal nach meiner Frau sehen und dann zu Bett gehen. Du solltest das Gleiche tun. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Herr Mindermann.«
Er verschwand in die Schlafkammer seiner Frau.
Lena wusste nicht, was sie als Reaktion auf ihre Worte erwartet hatte, jedoch war es nicht die gewesen, die er gezeigt hatte. Auch seine Stimme wollte nicht mehr zu dem Bild passen, dass sie von Maries Mörder hatte. Sie sammelte noch die fehlenden Teile des Pferdes vom Boden, dann ging sie wieder in die Kammer.
Zum Schlafen war sie allerdings viel zu aufgeregt. Immer wieder sah sie den Ratsherrn gramgebeugt in seinem Stuhl sitzen. Er hatte so alt und verzweifelt gewirkt, dass sie sogar Mitleid empfand. Ein Gefühl, das hier fehl am Platz war. Aber konnte dieser Mann wirklich ein Mörder sein? Ihre Gedanken wurden von Helene und Rosa unterbrochen, die endlich auch den Weg ins Bett fanden.
»Lena, bis noch wach?«, flüsterte Helene.
»Ja.«
»Nix, wase gehöört und gesehen has, dröff über dine Lippen komen. Da darf kiener von erfahren. Hast das verstanden?«
»Ja, habe ich.«
»Datt schwör uf de heilige Anna.«
Lena seufzte innerlich, aber sie tat ihr den Gefallen: »Ich schwöre.«
»Und nu wird geschlopen, wi muss bald rut.«
»Passiert das öfter?«
»Leider zu oft«, antwortete jetzt Rosa. »Beinahe jede Woche einmal.«
»Scht«, machte Helene. »Die Hausherrin is noch ’ne junge Deern un hat viel mitgemacht. Dat wird sich geben, außerdem: Wi heft voor use egen Döhr genuch Dreck.«
Lena glaubte, gerade erst eingeschlafen zu sein, als die Tür zu ihrer Kammer aufgerissen wurde. Seibold, der Knecht, stand im Rahmen.
»Schnell aus den Betten, es brennt.« Mit seinen Worten drang auch der Geruch nach Feuer in Lenas Nase. Flugs waren die drei Frauen aus den Betten.
»Herr im Himmel.« Helene eilte voraus. Als sie die Treppe hinunterrannten, schlug ihnen Qualm entgegen. Lena drückte sich ihren Umhang vor den Mund. Die Männer waren schon dabei, Wassereimer
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