Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
kehrte ins Haus zurück.
* * *
In den ersten Tagen teilte Helene Lena für die Nachttöpfe, die Feuerstellen und die Wäsche ein. Hier war alles anders als im Töchterhaus. Die Arbeit war körperlich härter, aber rechtschaffen, und Lena gefiel es. Da alle freundlich zu ihr waren, fiel es ihr schwer, keine Sympathien für die Menschen dieses Hauses zu hegen. Natürlich konnte sie nicht davon ausgehen, dass der Ratsherr offen zugeben würde, was er getan hatte, aber sie hoffte, entweder Hinweise zu finden oder dass er sich durch irgendetwas verraten würde, wenn sie nur genau hinsah.
Die Mägde, von denen es außer ihr noch drei weitere gab, waren anfangs etwas zurückhaltend, doch als sie nach ein paar Tagen sahen, dass Lena sich nicht scheute, kräftig mitanzupacken, verflog der Argwohn langsam, und schließlich waren sie froh über zwei tatkräftige Hände. Sie wurde sogar von Helene gelobt, was laut Aussage der anderen äußerst selten vorkam.
Aus den Gesprächen beim Abendessen hörte Lena heraus, dass Mindermann im Bremer Umland Ländereien besaß, und auf einem Gut züchtete er Pferde. Die Zucht war eine Leidenschaft des Hausherren, die von seiner Gemahlin nicht geteilt wurde. Gelegentlich fuhr beinahe der gesamte Haushalt auf das Gut, um einige Tage dort zu verbringen. Dann blieben nur ein Knecht und eine Magd im Stadthaus zurück. Im Gegensatz zu seiner Frau hielt Herr Mindermann sich gern bei seinen Stallungen auf.
Die Hausherrin, Heide Mindermann, war um einige Jahre jünger als ihr Ehemann. Sie war von schlanker Gestalt, hatte goldblondes Haar und sehr schmale Lippen, die häufig zu einem dünnen Strich aufeinandergepresst waren. Es verlieh ihr einen bitteren Ausdruck, und Lena fragte sich, ob der Verlust ihrer Kinder dies verursacht hatte. Meistens traf man sie mit einem gelangweilten und missmutigen Gesichtsausdruck an, der sich allerdings schlagartig änderte, sobald sich Besuch ankündigte. Als Lena ihr vorgestellt wurde, wirkte sie etwas ungehalten.
»Mein Ehemann hätte dich eigentlich wegschicken sollen, bis ich zurück bin.« Sie betrachtete Lena missbilligend. »Aber da du nun da bist und unter unserer Aufsicht stehst, wollen wir es mit dir versuchen. Ich hoffe nur, dass du nicht zu solch einem liederlichen Treiben neigst wie deine Vorgängerin.«
Lena nickte artig, wunderte sich aber, dass die Hausherrin schon am frühen Morgen leicht lallte.
»Wenn ich Klagen über dich höre, musst du sofort gehen. Unzüchtiges Treiben, Gotteslästerung und Diebstahl werden aufs Härteste bestraft. Wenn du gottesfürchtig und eine Jungfer bist, kannst du bleiben.«
»Ja, Frau Mindermann.«
»Und ich bevorzuge es, wenn man mich mit Frau Ratsherrin anspricht.«
»Wie Ihr wünscht, Frau Ratsherrin.«
Sie war eine von den Frauen, die man zu Recht verzogen nannte. Alles fasste sie mit spitzen Fingern an, und sie war höchst penibel, was Sauberkeit anging. Sie mied die Sonne, und eine vornehme Blässe machte ihre Herkunft deutlich. Lena erfuhr, dass der bodenständige Ratsherr gar nicht adelig geboren war, aber er besaß ein großes Vermögen, das seine Familie durch den Fernhandel erwirtschaftet hatte. Seine Frau entstammte einer Patrizierfamilie, die hoch verschuldet war, wodurch sie nur den Titel mit in die Ehe gebracht hatte. Offenbar aber war es dem Ratsherrn genug.
An diesem Tag gingen Lena und Rosa zum Waschen an die nahe Weser und schrubbten die großen Laken und Bezüge sowie die Kleider und Leibwäsche aller Bewohner des Hauses. Während des Waschens beobachtete Lena die kleine Fähre, die gemächlich zwischen den Weserufern hin- und herschipperte. Sie erinnerte sich noch ganz deutlich an das Gefühl, als ihr Stiefvater sie nach Bremen gebracht hatte. Auch damals waren Frauen hier am Fluss mit Waschen beschäftigt gewesen.
»Heimweh?«, fragte Rosa unvermittelt.
Lena fuhr herum. »Nein, eigentlich nicht. Und du?«
»Nicht mehr«, antwortete Rosa.
»Wie lange bist du schon im Haus?«
»Seit sechs Jahren.«
»Und was hältst du von den Herrschaften?«
Rosa schlug ein Laken kräftig auf einen Stein, hielt dann inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war warm heute, die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel.
»Was soll man von den Leuten halten? Sie sind freundlich, wenn alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt wird. Mehr kann ich nicht erwarten.«
»Nein, das meine ich nicht.« Lena wrang eine Decke aus, und Rosa fasste mit an, um sie gemeinsam so lange zu drehen, bis
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