Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
Süden, da kommt ihr in Hoyas Gebiet. Gott schütze euch.«
Damit verließ er, gefolgt von seiner Frau und Wilfried, das Haus, ohne dass Lena noch eine Gelegenheit hatte, ihm ihre Frage zu stellen. Helene weinte, und auch die Übrigen machten finstere Mienen. Lena hörte noch immer die Worte des Ratsherrn; Zuversicht klang anders, und ihr wurde mulmig zumute.
Als alle angezogen waren, folgten sie dem Ratsherrn auf den Markt. Lena zog ihren Umhang tief ins Gesicht, denn sie sah einige Kunden aus dem Töchterhaus und hoffte, dass man sie nicht erkennen würde. Gleichzeitig versuchte sie, nach Laurenz Ausschau zu halten, doch es war ein sinnloses Unterfangen. Hier waren mehrere hundert Menschen versammelt. Als der Ratsherr sich noch einmal von ihnen verabschiedet hatte, stieg er auf sein Pferd und wendete es. Lena lief hinterher und griff nach seinem Fuß. Erstaunt zügelte er das Pferd, das gerade lostraben wollte, und sah auf sie hinunter.
»Lena?«
»Bitte sagt mir die Wahrheit. Habt Ihr meine kleine Tochter irgendwo versteckt?«
Seine Augen weiteten sich. »Wie meinst du das? Welche Tochter?«
»Bitte«, flehte Lena und sah ihm fest in die Augen.
»Es tut mir leid, ich weiß nicht, wovon du sprichst, und das ist die Wahrheit.«
»Ratsherr Mindermann, seid Ihr so weit?« Ein Gardist nahm die Zügel, um ihn zu seiner Truppe zu führen.
»Wir sprechen über deine Sorgen, wenn ich wieder da bin. Gott schütze dich.«
Lena blieb zurück und sah ihm nach, bis er von anderen Berittenen verdeckt wurde.
Das Schlimmste an seinen Worten war, dass sie ihm glaubte. Wie auch alles zusammenhängen mochte, er wusste offenbar von nichts. Traurig kehrte sie zu den anderen zurück, die sie mit fragenden Gesichtern empfingen.
»Was wolltest du von ihm?«, fragte Rosa.
»Ich habe ihm nur Glück gewünscht.«
Anscheinend schoben sie ihr seltsames Verhalten auf ihre Aufregung, denn niemand fragte weiter.
Nach einer Weile war es so weit. Bürgermeister Doneldey hielt eine Ansprache, der Bischof und ein Dutzend Priester segneten die Soldaten, und dann wurden Befehle gebrüllt. Die Menschen waren still geworden, sodass die Kommandos von den umstehenden Häusern widerhallten. Schließlich setzte sich die gewaltige Bremer Armee, angeführt von den Ratsherren und Rittern in ihren glänzenden Rüstungen, in Bewegung. Die meisten Soldaten waren unberitten und zogen kriegswillig in die Schlacht.
»Wir sehen einer ungewissen Zukunft entgegen, doch ich bin sicher, dass Gott unseren tapferen Soldaten zum Sieg verhelfen wird. Wir müssen jetzt alle unser Bestes geben und dürfen nicht Trübsal blasen.«
Frau Mindermann saß in ihrem Sessel, und trotz ihrer Jugend zeigte sie heute Würde und Stolz. Sie erinnerte Lena immer mehr an Frau Margarete.
»Geht heute alle nach draußen. Vergnügt euch noch einmal, denn es wird vorerst das letzte Mal sein. Seid vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Helene zahlt euch etwas Geld aus, und dann geht. Ich möchte, dass nur Wilfried im Haus bleibt.«
Damit waren die Bediensteten für den Tag entlassen.
Lena wunderte sich, dass ausgerechnet der alte Stallknecht bei der Hausherrin bleiben sollte, und fragte Rosa während ihres gemeinsamen Spaziergangs an der Weser danach.
»Er ist von ihrem Bruder geschickt worden. Vorher war er bei ihm als Stallbursche«, antwortete Rosa, deren Stimmung sich langsam etwas hob. »Frau Mindermann kennt ihn wohl schon lange und vertraut ihm von allen am meisten.«
»Er macht aber auf mich einen eher mürrischen Eindruck.«
»Das täuscht, er kann auch ganz drollig sein, allerdings meistens, wenn er betrunken ist.«
»Ja, das Gefühl habe ich auch.« Unauffällig lenkte Lena ihre Schritte zu der Gasse, in der Laurenz wohnte, doch als sie an seinem Haus vorbeigingen, drang kein Laut heraus.
* * *
Ausgelaugt von der Hitze des Tages und der vielen Arbeit, lehnte sich Lena an die kühle Hauswand im Hof. Nur ein paar Grillen unterbrachen die Stille, die seit Kriegsbeginn über Bremen lag. Inzwischen hatten viele Menschen die Stadt verlassen, doch Lena war geblieben, ebenso Rosa und ein paar Knechte, wie Wilfried und Seibold. Nun, da sie nur noch zwei Mägde waren und sich auch in absehbarer Zeit keine neuen Dienstboten finden lassen würden, hatten Rosa und Lena die doppelte Arbeit.
Die Ratsherrin verlangte allerdings nicht, dass der Haushalt genauso gut geführt wurde wie früher, und half sogar hin und wieder bei der Arbeit mit. Auch wenn es nicht viel war, so
Weitere Kostenlose Bücher