Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
Lena verließen die Kammer, worauf sie vom Rest der Unterhaltung nichts mehr mitbekamen. Lena atmete erleichtert aus. Zu gern hätte sie ihr Ohr an die Tür gelegt und gelauscht. Immerhin war Laurenz auch Soldat, und sie fürchtete, dass er ebenfalls in den Krieg ziehen würde.
Helene ahnte nichts von Lenas Sorgen. »Schlop nich een! Du muss ut de Plünnkammer de Uniform des Ratsherrn holn, dormit ik se no mol utbürsten kann. Du finnest se inner hinnersten Truhe. Aber rühr sonst nix an.«
Lena nickte und ging in die Kleiderkammer. Hier war sie das erste Mal, und es verschlug ihr beinahe den Atem, als sie die Vielzahl der Kleider und Truhen sah. Seufzend ging Lena zur ersten Truhe, öffnete sie und entdeckte fein bestickte Wäsche. »Das ist auch eine Art Uniform, aber sicher wird der Ratsherr diese nicht anziehen«, kicherte Lena vor sich hin.
In der mittleren Truhe wurde sie fündig. Glänzende Knöpfe auf dunklem Stoff. Sie nahm Uniform und Helm heraus und erstarrte, als plötzlich darunter Maries Tontopf zum Vorschein kam. Lena fuhr mit den Fingern über die Oberfläche. Er war schlicht, aber hübsch anzusehen. An der einen Seite hatte er einen kleinen Riss. Er stammte noch aus der Zeit, ehe Marie und Lena sich gekannt hatten. Sie legte die Uniform zur Seite, nahm das Gefäß, hob den Deckel an und roch. Es war Wolfswurz. Also doch! Danach hatte sie gesucht. Ein kleiner Laut des Triumphs wollte sich über ihre Lippen stehlen, aber sie hielt sich zurück.
Was sollte sie jetzt tun? Wenn sie den Topf verschwinden ließe, würde sie sicher als Erste verdächtigt werden. Immerhin war sie erst seit Kurzem hier. Lena stellte ihn zurück und dachte nach, als sie mit der Uniform nach unten ging. Dabei kam ihr die Idee, das Pulver einfach gegen etwas Harmloses auszutauschen. Dazu musste sie nur noch einmal in die Ankleidekammer kommen.
»Helene, ich liebe Uniformen. Darf ich helfen, sie zu reinigen?«
»So, dett levste also. Na mienetwegen, aver hüt nich moer, is to lat. We moken dett moorn.«
Am nächsten Morgen herrschte eine merkwürdige Aufregung und Hektik im Haus. Zunächst schob Lena es auf die Aussicht, dass sie alle am nächsten Tag aufs Land fahren würden, doch als sie in die Küche kam, saß Helene schon über die Uniform des Ratsherrn gebeugt, säuberte und polierte emsig.
»Guten Morgen, Helene. Ich dachte, ich darf helfen?«
Als die Angesprochene aufblickte, schrak Lena leicht zusammen. Helene hatte verweinte Augen, und auch jetzt schimmerten Tränen darin.
»In Krieg geiht er, in Krieg, Dern. Us Ratsherr.« Dicke Tränen rannen über ihre pausbäckigen Wangen. »Al morn. Ach datt is all böös! Watt, wenner fällt?«
Rosa, die am Tisch saß und Stiefel putzte, hielt inne und sah Helene mitleidig an, dann wandte sie sich an Lena.
»Es ist wirklich kein guter Morgen. Der Graf von Hoya ist mit seinen Männern auf dem Weg hierher. Nur vier Tagesmärsche sind sie entfernt. Das Land vom Ratsherrn Duckel haben sie bereits umstellt und in Beschlag genommen.Wir befinden uns jetzt offiziell im Krieg mit Hoya.«
Lena nickte. »Ja, ein wenig habe ich gestern von den Ratsherren herausgehört.«
»Es hat Tote gegeben«, fuhr Rosa fort. »Man schickte einen Knecht mit der Nachricht hierher. Die Bauern sind nun ihre Gefangenen, und Hoya will sie mitnehmen.« Rosas Stimme zitterte. »Nun sind einige Ratsherren mit den Mindermanns in der Schreibkammer und besprechen alles.«
»Herr im Himmel!«, war alles, was Lena in diesem Moment sagen konnte.
Beim Anblick der verängstigten Dienerschaft bekam auch Lena es mit der Angst zu tun. Krieg war etwas, das sie selbst noch nicht erlebt hatte, und jetzt wurde diese Stadt bedroht. Was bedeutete das, würden die gegnerischen Truppen hier einfallen, plündern, morden und vergewaltigen? Sie hatte Laurenz bisher noch immer nicht angetroffen und wusste nicht, wie es um ihn bestellt war. Würde er in den Krieg ziehen müssen?
Lena zwang sich zur Ruhe. Noch waren sie hier offenbar sicher. Sie musste sich beeilen, das Gift auszutauschen. Wenn der Ratsherr erst fort war, würde sie Zeit genug haben – doch was, wenn er es heute, als letzte Gelegenheit, noch einmal versuchen wollte? Sie musste handeln, und zwar ehe der Rat sich auflöste.
Lenas kurzes Frühstück wurde von Helenes Schluchzen und Jammern begleitet, und auch die sonst so lebendige Rosa war ausgesprochen ruhig. Wilfried kam mit verdrossener Miene herein, nahm sich einen Tiegel mit Talk und verschwand wortlos
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