Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
zählte doch der gute Wille.
Nach wie vor hatte Lena nichts über Laurenz’ Verbleib in Erfahrung bringen können, und nun kam sie auch bei der Suche nach Veronika nicht weiter. Die ganze Zeit über hatte sie sich auf den Ratsherren versteift und nicht einmal in Betracht gezogen, dass jemand anderer als Täter in Frage kommen könnte. Seit sie nun daran zweifelte, dass der Ratsherr der Täter war, hörte sie sich die Stimmen der männlichen Dienstboten genau an, doch keine ähnelte auch nur im Entferntesten der Stimme von Maries Mörder. Wie war Maries Gift dann in dieses Haus gelangt?
Ihre kleine Tochter war nun schon seit Monaten verschwunden. Sie wusste nicht mit Sicherheit, ob sie noch lebte. Aber sie fühlte, dass sie nicht tot war, und nur das gab ihr die Kraft, weiterzuleben und zu hoffen. Seit ein paar Tagen jedoch hatte sie immer wieder daran gedacht, für eine Weile fortzugehen und erst zurückkehren, wenn der Krieg vorbei war. Doch würde die Ratsfamilie sie dann noch einmal in den Dienst nehmen? Da Lena es nicht wusste, blieb sie vorerst.
Die Wand in ihrem Rücken brachte wenigstens etwas Abkühlung. Sie setzte sich, schloss die Augen, döste vor sich hin und schlief schließlich ein. Es war bereits dunkel, und der beinahe volle Mond stand hoch am Himmel, als sie durch Stimmengemurmel aufwachte. Kurz überlegte sie, wo sie sich befand. Seit sie nicht mehr im Töchterhaus war, hatte sie einen leichteren Schlaf entwickelt, was ihr hier im Haus zugutekam.
Ihre Glieder taten weh, weil sie zusammengesunken im Sitzen geschlafen hatte. Leise gähnend streckte sie sich. Die Stimmen schwollen wieder an. Sie kamen aus dem Rosengarten. Geschützt durch die dichten Sträucher, schlich Lena näher heran. Als sie eine gute Position hatte, um ungesehen durch die Hecke zu spähen und gleichzeitig die Worte verstehen zu können, ging sie in die Hocke.
Sie erkannte die Stimme ihrer Hausherrin. Sie unterhielt sich mit einem Mann, der in etwa die Statur des Hausherrn hatte und mit dem Rücken zu Lena viel zu eng bei Frau Mindermann saß. Lena stutzte über diese Vertrautheit, aber vielleicht war es ein Verwandter, ihr Bruder oder jemand anderer aus der Familie.
»Es ist nicht meine Schuld, dass es nicht gewirkt hat. Hättest du das Richtige besorgt, wären unsere Probleme womöglich längst erledigt.« Die Stimme der Ratsherrin verriet Trotz.
»Bist du denn sicher, dass du ihm auch davon gegeben hast?«, fragte eine männliche Stimme, und die traf Lena wie der Blitz: Er war es, der sie zu ihrem Kind führen konnte. Maries Mörder. Ihr Herz pochte heftig gegen ihre Schläfe. Was sollte sie jetzt tun?
Für den Augenblick musste sie herausfinden, wer er war und was er vorhatte. Vielleicht würde er preisgeben, wo er Veronika hingebracht hatte. Gespannt lauschte Lena.
»Hältst du mich für einfältig?«, wollte Frau Mindermann empört wissen.
»Aber nein.« Er legte ihr seine Hand an die Schulter und strich über ihren Hals, wobei es beinahe den Anschein hatte, als wollte er sie würgen.
»Lass das.« Heide Mindermann drehte sich weg, woraufhin er seine Hand auf ihren Busen legte.
»Du weißt, ich mag das nicht.« Ihre Stimme klang immer noch gereizt, aber trotzdem rückte sie näher an ihn heran.
»Scht … nicht dass uns noch jemand hört. Außerdem weiß ich, dass du es gerne hast«, flüsterte er.
Heide Mindermann drehte sich dem Mann wieder zu. »Küss mich.« Kokett schlug sie die Augen nieder und öffnete leicht ihre Lippen.
Was für eine durchtriebene Person, dachte Lena.
Stürmisch fiel der Mann über die Ratsherrin her. Er streifte ihr das Kleid von den Schultern und raffte ihre Röcke nach oben, während sie ihre Arme um seinen Hals schlang. Lena war entsetzt, als sie mitansehen musste, wie die beiden den armen Ratsherrn betrogen, während dieser in den Krieg zog. Ein Frösteln lief über den Rücken, und ihre Nackenhärchen stellten sich auf. Zum Glück dauerte es nicht lange. Der Mann war ungestüm und nicht sehr auf das Wohl der Ratsherrin bedacht, wie die meisten Männer. Als er von ihr abließ und seine Kleider ordnete, wirkte die Ratsherrin enttäuscht.
»Du warst schon einmal zärtlicher zu mir«, schmollte sie.
»Wenn wir wieder mehr Zeit für uns haben und uns nicht wie Bettler zwischen den Büschen vergnügen müssen, dann werde ich es auch wieder sein.« Er stopfte sein Hemd in die Hose und schloss seine Uniform.
»Ich wünschte, du würdest nicht in den Krieg ziehen. Bremen wird euch
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