Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
wahrer Segen für uns.« Henrike lächelte sie offen an.
Früh am nächsten Morgen war es so weit. Eine berittene Truppe rückte an, und der Hauptmann richtete das Wort an die Frauen.
»Wir brechen in der nächsten Stunde auf. Wer zu alt oder schwach oder gar krank ist, wird zurückgelassen. Wir können nicht auf euch warten. Die Männer sind schon unterwegs.«
»Aber wir haben zwei schwangere Frauen unter uns«, wandte Silke zaghaft ein.
»Wenn sie unterwegs Schwierigkeiten machen, müssen sie zurückbleiben. Wir haben keine Zeit zu warten.«
Mit offenen Mündern starrte Silke dem Soldaten nach, der ungerührt sein Pferd wendete und davonritt. »Mögen seine Kinder und Kindeskinder an Krätze krepieren!«
»Wir werden niemanden hierlassen.« Lena war fest entschlossen. »Emma …« Sie wandte sich an die Schwangere. »Komm bitte her und leg dich einmal hierrauf.«
Mit Hilfe zweier Frauen erhob Emma sich schwerfällig und setzte sich vorsichtig auf die Trage, als wäre es ein schwankendes Schiff.
Lena nickte zufrieden. »Gut, und nun brauchen wir ein paar starke Frauen.« Lena sah sich um. »Silke?«
Die Angesprochene nickte und stellte sich an das Kopfende. »Versuchen wir es.«
Ächzend hoben sie die Trage an, doch Lena merkte augenblicklich, dass es auf Dauer für sie beide zu schwer sein würde. »Wir brauchen zwei weitere Frauen, sonst kommen wir nicht weit.«
Sofort waren Johanna und eine etwas ältere, aber kräftige Frau mit Namen Eva bei ihnen, und es wurde merklich leichter.
»Lasst uns ein Stück gehen.«
Nach einigen Schritten fragte Lena: »Wie ist es, Emma, ruckelt es nicht zu sehr?«
»Da ich seetauglich bin, macht mir das Schwanken nichts.« Sie lächelte. »Danke für alles, Lena.«
Peinlich berührt winkte Lena ab. Sie hätte nicht tatenlos zusehen können, wenn man die Frauen einfach zurückgelassen hätte.
»Wir sollten ein Tuch um die Griffe wickeln, damit uns das Holz nicht die Hände wund scheuert«, schlug Silke vor, und sie setzten es in die Tat um.
Schließlich verließen die Frauen und Kinder mit hängenden Köpfen und schweren Herzen das Land des Ratsherrn Duckel in Richtung Hoya. Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben als freie Bürger von Bremen ließen sie zurück. Immerhin waren sie am Leben und würden hoffentlich bald wieder mit ihren Männern zusammen sein.
Lena beneidete die Frauen um ihre Familien. Würde sie selbst ihre Tochter jemals wiederfinden? Inzwischen konnte sie sich kaum noch an die Stimme des Mörders erinnern und fürchtete, dass sie ihn nicht einmal mehr erkennen würde, wenn er sie direkt ansprach. Ach, wenn Laurenz nur bei ihr wäre!
Ihre Gedanken wanderten nach Bremen, während sie einen Fuß vor den anderen setzte. Was geschah nun mit der Stadt, jetzt, da sie den Krieg verloren hatte? Auch gegen ihren Willen war sie ihr Zuhause geworden. Würde sie nun ein Teil von Hoya sein, oder blieb Bremen frei? Was würde sich für die Bürger, das Töchterhaus, Frau Margarete, Dorothea und Rosa ändern? Was würde aus Frau Mindermann werden – hatte sie nun alles, was sie wollte?
Obwohl sie zu viert an den Tragen waren, wurden Lenas Arme nach einer Weile bleischwer. Hinter ihr stöhnte Johanna bei jedem Schritt leise auf. Ebenso erging es den Frauen an den anderen beiden Tragen. Sie brauchten eine Rast oder zwölf Frauen, die sie ablösten. Suchend sah Lena sich um, doch sie kam auf höchstens fünf, die dazu in der Lage waren.
Thomas war glücklicherweise bei der Begleittruppe und sah immer wieder mitleidig zu ihnen herüber. Lena fasste sich ein Herz und winkte ihn zu sich herüber.
»Glaubst du, dass wir eine kurze Rast einlegen können? Die Frauen sind vollkommen erschöpft.«
»Ich fürchte nein, aber ich werde Männer auftreiben, die euch ablösen. Haltet noch einen Moment aus.«
»Danke, das ist überaus freundlich von dir.«
Er schenkte ihr ein ehrliches Lächeln und lief dann zu einer Truppe, die hinter den Frauen herging, und er hatte Erfolg. Kurze Zeit später wurden sie tatsächlich von einem Dutzend Soldaten abgelöst. Dankbar ging Lena neben der schwangeren Henrike her.
Die Männer lösten sich auf dem weiteren Tagesmarsch gegenseitig ab, sodass die Frauen einfach nur mitlaufen mussten. Lena bot den Männern unterwegs Wasser an und brachte ihnen etwas zu essen. Thomas kehrte nicht zu den anderen Soldaten zurück, sondern marschierte mit den Frauen. Auch als sie das Nachtlager aufschlugen, blieb er vorerst bei ihnen.
»Woher aus Hoya
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