Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
und erschauderte.
Thomas hatte die Mildtätigkeit seiner Landsleute wohl überschätzt, denn einer der Hauptmänner lieferte sich ein Wortgefecht mit ihm. Die beiden gestikulierten heftig, worauf der Hauptmann seinem Pferd die Sporen gab und zu ihnen herübergeritten kam. Vor der Schreienden zügelte er sein Pferd, sprang herunter und stützte seine Hände in die Hüften. »Was ist mit ihr?«, fragte er barsch in die Runde.
»Sie bekommt ihr Kind, aber es gibt Probleme«, antwortete Silke.
»Was für Probleme? Wird sie bald fertig sein?«
»Das wissen wir nicht. Wir tun, was wir können, aber sie liegt schon seit dem Morgen in den Wehen. Wir brauchen Tücher und heißes Wasser.«
Thomas näherte sich ebenfalls wieder den Frauen, doch er hatte die Lippen fest aufeinandergepresst. »Wenn es länger als bis zum Morgen dauert, könnte ich mit ihnen nachkommen«, schlug er seinem Hauptmann vor, doch dieser gebot ihm zu schweigen.
»Unsere gesamten Vorräte an Wäsche sind im Trupp der Gefangenen. Ich kann euch nicht helfen. Ich gebe euch Zeit bis Sonnenaufgang, dann müssen wir weiter, mit oder ohne sie.« Mit diesen Worten sprang er wieder auf sein Pferd und ritt zu seiner Truppe zurück.
»Bitte, Herr …«, rief Silke ihm nach, doch er hörte nicht mehr zu. Besorgt befühlte sie den dicken Bauch, worauf Henrike wieder aufschrie, sich vor Schmerzen krümmte und dann kraftlos nach hinten sank. Ihre Stirn war schweißnass und ihre Haut sehr blass. Plötzlich ergoss sich ein Schwall Blut in ihren Rock. Viel zu viel Blut. Silke drückte ihr Tücher zwischen die Beine, bis der Blutstrom verebbte.
»Das wird jetzt sehr wehtun, hörst du, Henrike?« Silke hatte sich zu ihr hinuntergebeugt und hoffte auf eine Regung, doch Henrike schüttelte nur wirr den Kopf hin und her und phantasierte.
»Kommt und helft mir. Haltet sie gut fest.«
Lena und einige Frauen umklammerten den Oberkörper Henrikes von hinten, sodass ihr Kopf auf Lenas Bauch lag. Zwei weitere Frauen hielten die Arme und Beine. Dann drückte Silke mit ihrer Hand kräftig auf den Bauch der Schwangeren.
»Was machst du?«, fragte Lena, der bei dem Anblick ganz flau wurde.
»Ich versuche, das Kind zu schieben.«
»Wie soll das gehen?« Lenas Stimme überschlug sich. Es kam ihr sehr grob vor, was Silke da machte. Außerdem hatte sie es bei Marie nie gesehen.
Verschwitzt sah Silke kurz auf. »Sie kann in dem Zustand nicht pressen, das siehst du doch. Irgendwie muss das Kind aber raus, sonst sterben beide.«
Lena schüttelte sich innerlich. Henrike musste unsägliche Schmerzen leiden, denn sie schrie jetzt noch schriller.
Beherzt fühlte Silke nach dem Kind, und plötzlich war der Kopf zu sehen. Judith stand neben ihrer Tochter und starrte ebenfalls schweigend auf die Geburt. Es gab ein reißendes Geräusch. Henrike schrie erneut, und überall war Blut. Dann war der Kopf heraus, aber etwas stimmte nicht. Der Kopf war groß wie der eines ausgewachsenen Menschen. Henrike erschlaffte in Lenas Armen. Die umstehenden Frauen waren kreidebleich geworden.
»Das ist ein Zeichen Gottes. Er straft uns, dass wir weggelaufen sind.« Die alte Anna bekreuzigte sich.
Lena wurde übel. Judith fasste sie am Arm und führte sie weg. »Sieh nicht hin. Ich fürchte, Henrike und ihr Kind werden nicht überleben, und wir sollten uns jetzt um Emma kümmern, sie braucht uns dringender. Sie hat bestimmt furchtbare Angst.«
»Mir tut sie schrecklich leid, Mutter. Ob Anna recht hat?«
»Das weiß nur der Herr allein. Komm.«
Tatsächlich war Emma ebenso blass wie die anderen. Ihre Hände waren zum Gebet gefaltet, ihre Augen waren geschlossen. Lena und Judith setzten sich zu ihr, woraufhin sie die Augen aufschlug und sie ängstlich ansah.
»Wird der Herr mich und mein Kind ebenso strafen?«
»Nein, ich glaube nicht. Hab keine Angst. Henrike hatte eine komplizierte Schwangerschaft, und es sah schon vorher so aus, als würde es eine schwere Geburt werden. Bei dir ist alles normal verlaufen, oder?« Lena streichelte ihr die Haare und versuchte, ein aufmunterndes Lächeln zustande zu bringen.
Emma nickte, doch sie schielte immer wieder zu Henrike hinüber, die nun leblos mit ihrem Kind in den Armen auf dem Boden lag. Die Frauen deckten die beiden gerade zu und bekreuzigten sich.
»Heilige Jungfrau Maria, beschütze mein Kind.« Emmas Augen lagen tief in den Höhlen, Tränen kullerten haltlos heraus. Auch Lena war nach Weinen zumute, doch sie schluckte die bitteren Tränen
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