Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
hinunter. Sie hatte Angst, nie wieder damit aufhören zu können, wenn sie es jetzt zuließ.
»Emma, du tust gut daran zu beten. Die Heilige Jungfrau wird dir beistehen. Glaub mir.«
Judith von Riede behielt recht, denn noch ehe der Morgen anbrach, gebar Emma ein prächtiges kleines Mädchen. Mutter und Kind waren erschöpft, aber wohlauf.
Lena freute sich aufrichtig mit Emma, aber ihr eigenes Herz war von tiefer Traurigkeit erfüllt. Zu schmerzlich wurde ihr bewusst, wie schnell die Menschen starben. Und ihre Tochter fehlte ihr mehr denn je.
Bald nach der Geburt drängte der Hauptmann zum Aufbruch und die Frauen beeilten sich, Silke und ihr Kind anständig zu begraben.
Kapitel 14
Sie marschierten vier volle Tage, meistens schweigend, denn der Weg war anstrengend und von Entbehrungen geprägt. Schließlich erreichten sie die Burg Hoya, die auf einer Insel in der Weser stand.
Zum ersten Mal sahen die meisten der Frauen hier ihre Männer und Söhne wieder. Glücklich betrachteten sie einander und schlossen sich in die Arme. Als Lena Laurenz müde, aber unversehrt auf sie zukommen sah, atmete sie ebenfalls erleichtert auf. Sie merkte erst jetzt, wie sie sich um ihn gesorgt hatte. Doch ihre Miene verriet nichts von alledem.
»Es geht dir gut.« Sie nahm ihn ungeniert in die Arme, und er hielt sie einen Augenblick fest an sich gedrückt. Dann schob er sie von sich und verbeugte sich vor ihrer Mutter. Kurt reichte er die Hand, der sie wie ein kleiner Mann stolz ergriff.
Ein Horn ertönte und unterbrach ihre Wiedersehensfreude. Dann bellte ein Offizier: »Der Graf von Hoya kommt. Verbeugt euch.«
Alle verbeugten sich ehrfürchtig, als der Mann in voller, glänzender Rüstung auf den großen Marktplatz des Dorfs Hoya ritt. Sein Hofstaat und einige Adelige und Ritter folgten ihm. Auch der Graf von Lüttich wurde angekündigt und ritt erhobenen Hauptes an den Menschen vorbei. Als er bei Hoya ankam, reichten sie sich feierlich die Hand. Dann rief der Lütticher seine Leute zusammen, nickte dem Grafen von Hoya zu und ritt über die Weserbrücke, die in den Burghof führte. Der Graf von Hoya drehte sein Pferd langsam im Kreis, und nur der Hufschlag war zu hören.
»Bauern – Männer und Frauen«, begann er. »Gott hat uns recht gegeben. Bremen hat den Krieg trotz Übermacht verloren. Ihr seid Hoyaner. Mein Land ist euer Zuhause. Hier sind viele von euch geboren, haben ihre Familien zurückgelassen und auf ein anderes Leben gehofft. Ihr wart unzufrieden, aber es sind schwere Zeiten gewesen. Die Pest hat kaum eine Familie verschont. Doch nun kommen bessere Zeiten auf uns zu, und ihr seid wieder ein Teil davon. Die Bremer haben einen Fehler gemacht und euch ein Versprechen gegeben, das sie nicht einhalten konnten. Wir haben sie eines Besseren belehrt.«
Er machte eine dramatische Pause, wendete sein Pferd erneut und sprach jetzt zur anderen Seite. »Ich könnte euch bestrafen, das wusstet ihr, als ihr fortgelaufen seid und uns im Stich gelassen habt. Aber ich werde Gnade walten lassen. Mehr noch, ihr dürft ein Viertel der nächsten Ernte für euch behalten. Esst es selbst oder verkauft es. Verfahrt, wie euch beliebt. Ebenfalls erlasse ich euch ein Jahr die Steuern. Des Weiteren wird in Zukunft jeder einen Teil seiner Ernte behalten dürfen.«
Einige begannen zaghaft zu jubeln, und innerhalb eines Wimpernschlages stimmten die meisten mit ein. Laurenz schnaufte verächtlich durch die Nase, während der Graf sich im Jubel sonnte und in die Runde blickte. Lena bemerkte, dass seine Soldaten nicht so gelassen waren wie er selbst. Sie beobachteten die Bauern sehr genau und hatten die Hand an den Schwertern. Doch die Angst, jemand könne sich auf den Grafen stürzen, war unbegründet. Der Graf von Hoya hatte die Leute in seinen Bann gezogen und sie mit den Zugeständnissen wieder auf seine Seite gebracht. Nach einer Weile hob er beide Hände, und nach und nach verebbten die Jubelrufe.
»Sollte jedoch je wieder einer von euch weglaufen, werde ich nicht mehr so milde mit ihm umgehen. Ich hoffe, ihr habt etwas gelernt. Nun geht nach Hause. Bestellt euer Feld. Wer kein Heim hat, wendet sich an meinen Vogt. Er wird euch sagen, wo wir noch kräftige Männer und geschickte Frauen gebrauchen können.«
»Ein Hoch auf den Grafen von Hoya«, stimmte irgendjemand in der Menge an, und die Leute folgten dem Beispiel, dieses Mal jedoch weniger zögerlich. Unter großem Jubel ritt der Graf ebenfalls über die Brücke davon.
Die Bauern
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