Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
stammt ihr?«, wollte er bei einer Rast von Lena und ihrer Mutter wissen.
»Aus Riede. Meine Tochter jedoch lebt seit einigen Jahren in Bremen«, antwortete Judith, während Lena und Kurt sich die kalte Gemüsesuppe teilten, die sie vorsorglich für die Reise gekocht hatten.
»Aus Bremen?« Thomas wurde blass. »Lasst das um Himmels willen niemand anderen erfahren. Ich möchte nicht wissen, was sie sonst mit ihr anstellen.«
Peinlich berührt sah Judith auf. »Es tut mir leid, Lena. Das habe ich nicht gewollt. Bitte verrate es niemandem, Thomas.«
»Mach dir keine Sorgen, Mutter, irgendwann wäre es vermutlich auch so herausgekommen.«
»Ich werde es nicht erzählen, das schwöre ich euch bei Gott.«
Lena glaubte Thomas. »Bis vor ein paar Jahren habe ich bei meinen Eltern in Riede gelebt«, sagte sie und gab Kurt die restliche Suppe. »Aber das ist eine lange Geschichte. Ich war mit einem Mann unterwegs, als eine eurer Truppen uns gefangen nahm. Sie trennten uns, weil sie glaubten, dass wir entlaufene Bauern sind, und erst hier habe ich meine Mutter und meinen Bruder wiedergetroffen.«
»Wie gesagt, behaltet es besser für euch. Zu eurem eigenen Schutz. Der Graf und meine Kameraden sind nicht gut auf Bremer zu sprechen«, mahnte Thomas eindringlich.
»Danke für deine Warnung.« Lena war nun doch etwas mulmig zumute.
»Ich habe noch das Stück Land, das ich mit meinem verstorbenen Mann bestellt habe. Können wir nicht dorthin gehen?«, fragte Judith.
Bedauernd schüttelte Thomas mit dem Kopf. »Ihr seid Entlaufene, darüber wird der Graf entscheiden.«
»Wohin bringt ihr denn die Frauen, die kein Land haben?«
»Alle sollen zum Gut des Grafen. Von dort gehen dann die, die noch Ehemänner haben, mit ihnen zurück auf ihre Ländereien. Die Äcker liegen brach und müssen bestellt werden, und zwar schnell, sonst droht uns im Winter eine Hungersnot. Die Frauen, die niemanden mehr haben … nun ja, einige bleiben am Hof, und bei den anderen wird sich bestimmt etwas finden.«
»Verstehe. Der Schwarze Tod hat wohl auch viele Hoyaner das Leben gekostet, nicht nur Bremer«, sagte Lena. »Ich bin froh, dass wir nichts davon mitbekommen haben.«
»Dafür kannst du dem Herrn danken. Mir hat die Pest die Frau und zwei meiner Söhne genommen.«
»Das tut mir leid.« Lena meinte es ehrlich. »Wie alt bist du, Thomas?« Sie konnte ihn schwer einschätzen. Eigentlich hatte er ein knabenhaftes Gesicht, aber die grauen Schläfen und die Fältchen um die Augen zeigten sein Alter.
»Ich bin verglichen mit dir ein Methusalem. Im Herbst werde ich zweiundvierzig Jahre.«
»Methusalem?« Lena hatte diesen Namen noch nicht gehört.
»Er ist ein Mann aus der Heiligen Schrift. Mein Onkel kannte einen Gelehrten, der die lateinische Sprache beherrschte und ihm diese Geschichten erzählte. Und er gab sie dann weiter an uns. Methusalem war der älteste Mensch, der je gelebt hat. Er wurde beinahe tausend Jahre alt.«
»Tausend? Das kann nur ein Wunder gewesen sein.«
»Kurz nachdem Gott die Menschen aus dem Paradies verbannt hatte, wurden die Menschen noch sehr alt.«
»Aha.« Lena fand die Geschichte spannend. Sie fühlte sich wohl in Thomas’ Gegenwart, und auch ihre Mutter, die das Brot für sie aufteilte, lauschte seinen Erzählungen, während Kurt sich an sie kuschelte. Die schöne Stimmung wurde jäh unterbrochen, als ein Schrei durch das Lager ging. Alle Frauen eilten besorgt zu Henrike. Thomas und Judith blieben mit Kurt und den anderen Kindern zurück und sahen ihnen besorgt hinterher.
»Henrike liegt in den Wehen«, sagte Silke mit verschwitztem Gesicht.
»Wie lange schon?«, fragte Lena besorgt.
»Eine Weile, aber sie wollte kein Aufsehen erregen und hat nichts gesagt.«
»Du bist sehr tapfer.« Lena streichelte Henrikes Hand. Sie fühlte sich heiß und feucht an.
»Sie hört dich vermutlich nicht. Sie fiebert.«
Wie zur Bestätigung schrie die junge Frau erneut, bäumte sich auf, rief ein paar Schimpfwörter und sackte wieder zusammen.
»Silke, wir brauchen saubere heiße Tücher und etwas gegen das Fieber.«
»Sieh dich um, woher sollen wir das nehmen?«
»Warte. Vielleicht kann Thomas helfen.«
Lena eilte zu ihm. »Thomas, einer der Schwangeren geht es sehr schlecht. Meinst du, wir können hier heiße Tücher auftreiben?«
»Ich will sehen, was ich machen kann.« Höflich verbeugte er sich vor ihr und Judith und verschwand. Während ihre Augen Thomas folgten, hörte Lena Henrike immer wieder schreien
Weitere Kostenlose Bücher